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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 15 (1. Maiheft 1907)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0210

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untersuchen, wenigstens antippen,
durchmustern, erzeugt eine Beweg-
lichkeit und Grazie des Geistes, ein
Bedürfnis, sich mitzuteilen, anzu-
regen und sich anregen zu lassen.
Wenn auch im einzelnen dabei viel
Unbedeutendes entsteht, so ist doch
das Ganze bedeutend, denn es führt
zu einer allgemeinen Frische, zu
einer geweckten und empfänglichen
Stimmung. Der liebenswürdige
Dilettantismus lockert den Boden
und fördert das Gedeihen, das
Atmen der tiefliegenden Wurzeln
allen Fortschritts. Die unerträg-
liche Langeweile, die ernste Leute
den modernen geselligen Unterneh-
mungen nachrühmen, die Verein-
samung manchen bedeutenden Gei-
stes rührt hauptsächlich davon her,
daß der heutige Dilettantismus sich
spreizt und bläht, seinen eigentlichen
Beruf verkennend, der zu seinen
besten Zeiten in einem Jdealisieren
des geselligen Daseins bestand. Ieder
Einfall soll heute möglichst aus-
giebig in klingende Münze umge-
setzt werden. Gescheite und begabte
Leute halten oft gleichsam die Ta-
schen zu, damit ihnen ja kein kost-
barer Gedanke geraubt werde. Es
gibt allerdings genugTintenpiraten,
die auf Beute lauern. Aber eine
freigebige, unbefangene Zeit wie
diejenige Anna Amalias spendet
aus zierlichem Füllhorn. EinGoethe
dünkt sich nicht zu gut, die Ge-
legenheit festlich zu kränzen, die
Fürstin setzt Melodien zu den Ver-
sen, der junge Herzog spielt schlecht
und recht seine Rolle. Es wird
gezeichnet, gestickt, Gartenbau und
Volkswohlfahrt getrieben, alles mit
einem gewissen Rhythmus und Takt,
mit einer gewissen Naivität, die nun
zu den ganz verklungenen Dingen
gehört."

Ls wäre schlimm, wenn sie immer
verklungen bleiben müßten. Aber
wie verschieden das Einstmals vom

Heut, über eine Frage sollte uns
auch dieser Vergleich jedenfalls ganz
besonders nachdenken lassen. Gibt
es überhaupt eine Geselligkeit ohne
Betätigung, zum mindesten: ohne
Bereitwilligkeit aller Teilneh-
mer, sich für die Geselligkeit zu
betätigen? Welch eine Binsenwahr-
heit wieder! Aber auch wieder:
wie wenig berücksichtigen wir diese
Binsenwahrheit praktisch, von den
Abendgesellschaften der „obernZehn-
tausend" ab, in die man geht, um
sich unterhalten zu lassen, bis zu
den Volksfesten auf den Vogel-
wiesen, wo das Volk sich je länger
je mehr nur vergnügt, indem es sich
gegen Eintrittsgeld in den Buden
von anderen etwas zeigen oder vor-
machen läßt.

svl SimplizisfimirS »ontra Woer-
mann

Einige Zuschriften verlangen von
mir eine Meinungsäußerung über
das hamburgische Rrteil gegen Gul-
bransson, und zwei davon mei-
nen: da ich einerseits vom Staats-
anwalt schon gegen den Simpli-
zissimus zitiert worden sei, bei
andrer Gelegenheit aber auf die
Werte des Blatts hingewiesen hätte,
so müßt ich ja wohl einigermaßen
unbefangen sein.

Ob ich's bin oder nicht, jeden-
falls habe ich persönlich aus diesem
Fall die mir nützliche Erkenntnis
davongetragen, daß ich mich über
die Wirkung von Satire auf ge-
bildete Deutsche gelegentlich auf das
Gründlichste irre. Denn als ich
Gulbranssons Angriff gegen die
Woermann-Linie zuerst sah, da
dacht ich: das ist doch einmal so
toll übertrieben, daß eben dadurch
die Selbstkorrektur der Satire
für jedermann klar liegt. Rngefähr
so, als wenn man des Kaisers
Habybart zeichnen wollte, wie er ihn
überm Helme zusammenbindet. Zu-
dem war ja nicht gar lange vor-

^ Kunstwart XX, ^5
 
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