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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 20 (2. Juliheft 1907)
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Avenarius, Ferdinand: Was dünket euch um Liebermann?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0496

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zu schätzen weiß, wird bei manchem frühen> wer die Reize lichter
Farbenakkorde genießen kann, wird bei manchem spätern Werke dieses
Malers finden, was er sucht. Wer schon an Millet gebildet ist, wird
etwas Verwandtes mit seiner Kunst oft, am stärksten vielleicht bei den
„Netzeflickerinnen" spüren, die nicht nur äußerlich die Formen, die
ihren Gegenstand auch innerlich ins Große gesehen zeigen. Und er
wird nun vorurteilslos genug geworden sein, um — nach dem eigent--
lichen Liebermann suchen zu können.

Denn sreilich, mit all den eben aufgezählten Werten spricht
nicht der, den seine Bewunderer am höchsten schätzen. Wie gut Lieber-
mann gelegentlich einmal das Seelische kennzeichnen mag, einige andre
können's nicht schlechter, und er selber hat, von wenigen Bildnissen
abgesehn, je länger, je weniger Gewicht darauf gelegt. Auch das
Klingen feiner Farbenakkorde war ihm kaum je zum Wesentlichsten
geworden. And das Monumentalisieren von Einzelgestalten, das in
ihm ja nie von einem so tief seelischen Adelungsbedürfnis erzwungen
wurde, wie in Millet, hat er so gut wie ausgegeben. Lr fühlte wohl
selbst, daß es ihm nicht gelang, daß er doch nur Genrebilder HLtte
gebey können, wo Millet Denkmale hinstellte. Und so war sein Ver-
zicht ein Zurücklenken auf den für ihn richtigen Weg. Lr hat von
Menzel und Gussow, von Millet, von Munkaczy, von Leibl, von
Israels, von Manet, von van Gogh und von wem noch gelernt,
immer mit Heißhunger hinter den Neuesten her, die ihm Güter aus.
dem noch Unbekannten zu bringen schienen, und hat doch immer
wieder ausgeschieden, was ihm nicht entsprach. Lr gab immer aus,
wenn und weil er im Wachsen war.

Liebermann ist in seinen bedeutendsten Werken Impressionist.
Wer ihm nachsehen und nachfühlen will, muß vor allem versuchen,
seine Bilder auch impressionistisch anzusehn. Das tut man
selten, und diese Tatsache wieder erklärt, warum die Reize des Im-
pressionismus so vielen Verschlossen bleiben. Ein impressionistisches
Bild darf nur aus reichlicher Entfernung, weil nur als Gesamt-
heit übersehen werden, wenn es „sprechen" soll. Man darf es nicht
langsam ausnippen, man muß es trinken mit einem Zug. Bei
einem Bilde älterer Art hat das Einzelne Bedeutung für sich, bei
einem impressionistischen kann es die nicht haben: wer das fürs
Ganze Wichtigste herausheben soll, muß ja das fürs Linzelne Wich-
tigste zurückdrängen, oder seine Kunst will zwei widerstreitenden
Herren zugleich dienen. Führst du das Auge von Stelle zu Stelle
spazieren, so „schweigt" dir also gerade das gute impressionistische
Bild. Trittst du zurück und umfaßt du das Ganze, so erwacht es zum
Leben. Und man kann hier mit erhöhter Bedeutsamkeit des Vergleichs
sagen: zu einem Weben. Mensch und Tier, Landschaft und Luftgebilde
entseelen sich als Einzelerscheinungen und werden stille Glieder eines
Ineinanderwirkens. Wieviel dabei mit dem Einzelnen aufgegeben
sein mag, mit dem Ganzen wird dafür eine Schönheit gewonnen.
Wer nach dem Ausdrucke von Staffagegestalten, womöglich gar ihrer
Gesichter, nach der Charakteristik der Hütten am Weg, nach den Lin-
zelsormen der Bäume fragt, verlangt, was aufgegeben werden mußte,
um die besondere impressionistische Schönheit zu gewinnen. Eine

2. Iuliheft B07 U5
 
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