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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 21 (1. Augustheft 1907)
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Volbach, Fritz: Wirkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0575

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hören. Sie alle entspringen dem Gefühl der Sehnsucht nach einer
Steigerung der Wirkung der Musik aus unser Gemüt.
Wir kennen die Macht der Kunst. Indem sie ihr siegendes Licht in
die Tiesen unsres Herzens senkt, vermag sie unserm sonnenschauenden
Auge in lichten Fernen die ewige Schönheit zu erschließen. Wie
sehnen wir uns nach diesem Schauen, wie wünschen wir den Augen-
blick der Verzückung herbei! Wie selten aber wird uns dies höchste
Glück zuteil! Schon glauben wir den Augenblick gekommen, der
uns mit Zauberkrast zum Schweben emporhebt, da zieht die (Lrden-
schwere uns wieder hinab, und doppelt hart empfinden wir unser
Menschenlos, an die Erde gekettet zu sein. Gibt es kein Mittel, diese
Lrdenschwere zu überwinden?

Ls war an einem Charsreitag. Lichter Sonnenschein lag mild aus
den Fluren. Ein Gottesfrieden schien ausgebreitet über die Natur.
Der Erde entströmte erfrischender Dust, verkündend das geheimnisvolle
Werden, das sich in ihrem Schoße bergend vollzog, verratend die
nahe Auferstehung, den Frühling. Wie traumverloren war ich da-
hingewandert im jungen Licht, und Frühlingsduft war mir ins Herz
gezogen. Nun trete ich in die weiten Hallen des hohen Domes ein.
Die Sonne schickt ihre letzten Strahlen durch die hohen Fenster des
Chores, schon beginnen die Schatten zu dunkeln und senken sich
herab aus die stille Schar der Betenden. Die Altäre, ihres Schmuckes
beraubt, stehen kahl. Die Lichter sind erloschen. Nur vor dem Hoch-
altar brennen einsam auf hoher Pyramide zwöls Wachskerzen, da-
zwischen eine größere, hellere; Christus, das Lebenslicht, umgeben
von seinen Aposteln. Im dunklen Hintergrunde des Chores, unsicht-
bar, die Priester. Eintönig klingt ihr Chorgebet, auf einem Ton
rezitiert, der nur zuweilen um eine Quarte in die Höhe verlegt wird.
Vom Erlöser erzählt es, wie er in Gethsemane qualvoll ringt, wie
ihn die Häscher binden und wie ihn die Iünger verlassen. Nnd wie
diese, einer nach dem andern, von ihm gehen, so verlöschen nun all-
mählich auch ihre Lichter. Nur des Heilands Licht leuchtet noch.
Ietzt wird auch dieses hinweggetragen und verschwindet. Trauriges
Dunkel umsängt uns, still, klanglos. Da tönt plötzlich in dieses
bange Dunkel vom Chor herab des Heilands schmerzvoll ergreisende
Frage: koxnls msns, „Mein Volk, was hab ich dir zuleid getan?"
Palestrinas erhabenstes Werk in breiten, vollen Harmonien; ein
Klagelied so tief ergreifend, so schmerzbewegt, und doch auch so milde
verklärt, daß wir, im tiefsten Herzen ergrisfen, niedersinken und die
Arme ausstreckend nach dem Lrlöser uns an ihn klammern möchten.
Verzeihung slehend für der Menschen Schuld. Nnd unser Blick ist
gebannt, unsre Seele erschaut des Lrlösers Bild, und indem sie ihm
- entgegenstrebt, entschwindet das Irdische und sie tritt ein in ein
i weites, lichtes Reich.

Hier haben wir eine höchste Wirkung unsrer Kunst, wie
wir sie von ihr ersehnen. Wie aber ist diese hervorgebracht? Nur
dadurch, daß die Kunst hier zu unserm Leben in die
innigste Beziehung getreten ist. An das, was unser Leben,
unsre Seele ganz erfüllt, — hier das Göttliche selbst — knüpft sie
an, und erhebt es zu klingender, idealer Wirklichkeit. Was aber

j ^82 _____Kuustwart XX, 2s ^
 
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