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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI issue:
Heft 21 (1. Augustheft 1907)
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Volbach, Fritz: Wirkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0576

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lebt tiefer in unsrer Seele, was erfüllt sie mehr, als gerade die Sehn-
fucht nach dem Unendlichen, nach dem Göttlichen, dem Urquell
des Schönen? Dies Ideal aber erreicht die Kunst, indem sie an die
„jedem Menschen unwiderstehlich innewohnende Anlage zur Gott-
heit" anknüpst. Darin liegt schon an und sür sich ein ties reli-
giöses Glement, ohne welches die höchste Kunst nicht zu denken ist.
In diesem Sinne sagt einmal Goethe: „Die Kunst ruht auf einer
Art religiösen Sinn, aus einem tiesen, unerschütterlichen Ernst, des-
wegen sie sich auch so gern mit der Religion vereinigt." Denn, „das
Heilige ist ihrer Würde ganz gemäß, und hier hat sie die größte
Wirkung aufs Leben, welche sich durch alle Zeiten und Epochen
gleichbleibt".* Ia, zu allen Zeiten und Epochen! Oder ist etwa
der Griechen herrliche Kunst in ihren höchsten Offenbarungen nicht
eine religiöse Kunst? Aud die Werke des Mittelalters, jene erhabenen
Dome, jene unübersehbare Reihe schier unbegreislich schöner Bild-
werke, jene Abersülle tönender Meisterwerke, sind sie nicht der un-
mittelbare Ausdruck dessen, was damals in den Seelen der Menschen
lebte, als ihr höchstes und innigstes Ideal? Nie ist Leben und Kunst
inniger verbunden gewesen, nie haben sich beide so gegenseitig be-
dingt als in jenen Zeiten. Rach alledem drängt sich der Schluß
auf, daß die Wirkung der Musik aus die Menschen am stärksten sein
mußte, deren Ideal sie darzustellen berufen war, also aus ihre Zeit-
genossen. Das ist natürlich, aber schließt doch nicht aus, daß auch
die Kinder einer spätern Zeit diesen Zauber an sich zu erleben ver-
mögen. Wir können uns in einen sremden Zustand versenken und
erleben so auch die Kunstwerke alter Zeiten.

Kann nun die Kunst solche Wirkungen zu jeder Zeit, an
allen Orten hervorbringen?

Nehmen wir an, wir treten abends nach vollbrachtem Tage-
werk in den lichtdurchstrahlten Konzertsaal. Wir nehmen Platz
zwischen geputzten Menschen, von denen jeder den Sinn aus etwas
andres gerichtet hat, kaum einer denkt daran, was ihm die Kunst
bringen wird. Man plaudert. Nun ein Aufklopsen des Dirigenten.
Stille. Die Musik hebt an, und wir vernehmen dasselbe Stück Pa-
lestrinas, das uns in der Domkirche so unendlich ties ergrifsen hat.
Wird hier die Wirkung dieselbe sein? Keinessalls! Hier sehlt die
Möglichkeit der Sammlung, der K o n z e n t r a t i o n, ohne welche
der Zauber der Musik unwirksam bleibt. Wir betraten den Dom
bereits in einer gehobenen harmonischen Stimmung. Der Sonnen-
schein, das Licht des werdenden Frühlings lag über unsre Seele aus-
gebreitet. Nun entzogen uns die hohen, dämmernden Hallen dem
Getriebe der Alltagswelt. Kein prosaner Laut drang herein in die
heilige Stille. Die Schar der Beter sah, von einem Gedanken
ersüllt, im Geiste dasselbe Bild, aus das des Priesters einsaches Wort
rezitierend hinwies. Dem schmerzvollen Inhalt entsprach die Öde
der Kirche, entsprachen die wie in Verstörung verlassenen, alles
Schmuckes baren Altäre. Alles das, vor allem die in ihrer Einsachheit
so ergreisende Zeremonie des Verlöschens der Lichter, steigerte unsre

* Goethe, Sprüche in Prosa

! tz Augustheft V07 ^85
 
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