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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1907)
DOI Artikel:
Hess, Joseph: Neukatholische Belletristik und konfessionelle Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0658

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Merkwürdigerweise also schon der dritte in dem an sich eng be--
grenzten Kreise. Er stammt aus dem mittelschlesischen Bezirk Schweid--
nitz (Arnsdorf, geb. (873), also aus der Nähe des Parallelgebirges
zum Böhmerwald. Er hat als schlesischer tzeimatkünstler viel innere
Verwandtschaft mit Schott. Doch ist seine Kunst weicher, abgerundeter,
in der Linienführung den Nazarenern vergleichbar. — Wo aber wäre
die künstlerische Konkurrenz schwerer, als auf dem Gebiete der Heimat--
kunst! Als Keller zu schreiben begann, besaßen wir schon Polenz'
„Büttnerbauer" und „Grabenhäger". Von Iahr zu Iahr wuchs die
Heimatliteratur an Meisterwerken; von Iahr zu Iahr wurden wir
verwöhnter. Dazu kam, daß der Naturalismus damals in der Blüte
seiner Flegeljahre stand. Bescheidenheit und Zaghaftigkeit galten ihm
als Unkraft. Vielleicht gehörte auch Paul Keller zu jenen innerlichen
Naturen, welche über der herrschenden Tagestendenz, der sie ihrer
künstlerischen Veranlagung gemäß nicht huldigen konnten, an sich
selbst irre wurden. So blieben sie die Stillen im Lande, die liebevoll
ihrer realistischen Kleinkunst lebten. Wie Keller zu Größerem be--
rufen war, das zeigte sich ganz überraschend, als er den Boden
der schlesischen Heimatnovelle verließ, um sich auf ganz anderem Ge--
biete auszuweisen. Lr schrieb eine große satirische MLrchendichtung
voll goldner Poesie Md unverwüstlichem Humor. „Das letzte MLr-
chen" stellt ihn Seite an Seite mit Wilhelm Fischer, dem Dichter des
„Lebensmorgen". An dem Buch ist alles originell, auch die Idee.
Denn von einer Ideengemeinschast mit Swifts „Gullivers Reisen"
kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Tenor bei beiden
ein grundverschiedener ist. Was bei dem unglückseligen Dechant von
St. Patrick beißender, gistiger Sarkasmus, das ist bei Keller philo--
sophische Bonhomie. So steht Keller heute als eine geschlossene
Künstlerindividualität vor uns.

Line glänzende Erscheinung im Literaturleben der Gegenwart ist
Enrica von Handel-Mazzetti (geb. zu Wien (87(). Das „Hoch-
land" besonders ebnete ihr auf deutschem Boden den Weg. Ihre ge-
waltige Kunst aber setzte sich schnell auch bei der nichtkatholischen
Kritik durch. Trotzdem ihr Ruhm erst wenige Iahre alt ist, steht sie
schon neben den größten Lebenden ihres Geschlechtes, und sür unge-
fährlich halten wir die Prognose, daß sie alle überflügeln wird. Was
Marie von Ebner an Tiefe der seelischen Analyse leistet, das finden
wir bei ihr überall in ebenbürtiger Feinheit und Meisterschaft, ganz
überwältigend aber im ersten Teil ihres großen Romans „Meinrad
Helmpergers denkwürdiges Iahr". Selma Lagerlöf und Mathilde
Serao, die berühmte Italienerin, wetteifern in der Wucht der Dar-
stellung: Handel-Mazzetti läßt beide hinter sich. Marie Ianitschek,
wenn wir namentlich an deren Esclarmonde denken, und mehr noch
als sie Ricarda Huch baut sich gern romantische Wunderwelten in
der Seele der Menschen, über die sie einen geheimnisvollen Dämme-
rungsschleier zu breiten liebt; nicht selten zum Schaden der lichtvollen
Klarheit, die wir von abgeklärter Kunst verlangen. Anders Handel«
Mazzetti. Hell und scharf bleiben bei ihr die Konturen, auch da, wo
romantisches Stimmungsmilieu träumerisch über die Handlung ge-
breitet liegt. Klara Viebig mag über eine meisterhafte Realistik der

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