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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 22 (2. Augustheft 1907)
DOI Artikel:
Hess, Joseph: Neukatholische Belletristik und konfessionelle Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0659

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Darstellung verfügen; eine Szene aber, wie den Tod des Landers-
pergers in Mazzettis genialenr Roman „Iesse und Maria^ hat sie
nie geschrieben. Was man so oft am Weibe mit Aberraschung wahr--
nehmen kann, daß sich ihm die ganze Fnlle der Erscheinungen mit
all ihren Lebensrätseln in einer einfachen Kleinwelt widerspiegelt,
das sindet man bei Mazzetti in höchster Vollendung; mit gleicher
Selbstverständlichkeit aber greift sie hinein ins volle Menschenleben
und meistert es mit mannlicher Krast. Deshalb sehen wir sie auch
mit mehr Berechtigung als vielleicht irgend eine ihres Geschlechtes
in ihren großen Romanen zu den höchsten Problemen greifen.

G

Wir haben es nicht als unsere Aufgabe betrachtet, weiter aus-
zuholen in der kritischen Analyse der Einzelpersönlichkeit. Es kam
uns darauf an, in großen Zügen einen Aberblick über das Gebiet
zu geben, welches wir im Thema benannten. Ziehen wir die Summe
aus dem Gesagten, so ergibt sich zunächst, daß der offizielle deutsch-
redende Katholizismus verhältnismäßig nur wenige große Ramen
auf dem Gebiete der modernen Belletristik aufzuweisen hat. Die Masse
tut es nun freilich nicht allein, so daß schon die eine Handel-Mazzetti
imstande wäre, den numerischen Fehlbetrag wieder auszumerzen. An-
leugbar aber bleibt der deutsche Katholizismus sehr im Hintertresfen,
wenn man öerücksichtigt, daß der literarischen Größen auf der anderen
Seite Dutzende sind. Die Beantwortung der tiefgreifenden Frage,
wie diese Tatsache zu erklären sei, möge man uns erlassen. Sie hängt
auss engste zusammen mit der größeren Frage nach der Anteilnahme
der Katholiken an Kunst und Wissenschaft im 19- Iahrhundert über-
haupt; und diese beantworten wollen, hieße weit ausholen. Das eine
aber läßt sich sagen, daß es von einer geringen psychologisch-historischen
Arteilsfähigkeit zeugen würde, wollte man dem Katholizismus als
solchem künstlerisches Können deshalb absprechen, weil er im deutschen
Literaturleben der Gegenwart nur wenige bedeutende Vertreter stellt,
deren Träger sich offiziell zu ihm bekennen. Auch wolle man nicht
aus dem Auge lassen, daß der zeitgenössische Roman im Auslande
Namen aufweist, wie Fogazzaro in Italien, der mit vollem Recht
mit Manzoni auf eine Stufe gestellt wird, Sheehan in Irland,
Coloma in Spanien, Bäzin in Frankreich, wenn wir den Polen
Sienkiewicz nicht auch zu den Großen zählen wollen.

Eine ganz andere Perspektive aber eröffnet die Frage: Wer
unter den namhaften deutschen Schriftstellern der Gegenwart gehört
seiner Konsession nach zum Katholizismus, ohne daß er sich in seinem
künstlerischen Schasfen offiziell zu ihm bekennt? Die Frage ist nicht
müßig. Der Natur der Sache nach muß es nämlich schlechterdings
für ausgeschlossen gelten, daß der Katholizismus in der Belletristik
nur durch die wenigen Namen vertreten sein soll, die wir oben
anführten. Wo sind die andern? Wir wären in der Lage, aus
brieflichen Mitteilungen einer unserer bekanntesten Literaturgrößen
zu beweisen, daß der namhaften katholischen Belletristen heute nicht
wenige sind, Persönlichkeiten zugleich, die sich ihrer Konfession gern
und warmherzig bewußt bleiben. Warum kennt man sie nicht als



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