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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 24 (2. Septemberheft 1907)
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Häfker, Hermann: Sprechsaal: die Amtsblätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0776

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sellschaftspresse von solchem Amfang, daß sie ein, sowohl die wirtschaftliche
Lage der geistigen Arbeiter an der Presse, wie vor allem die sittliche
und geistige Berufsersüllung der Presse sicherstellendes Gegengewicht bildet.
Also eine ausgedehnte und das Gesittungs- und Bildungsbedürfnis der
Gesellschaft erschöpfend befriedigende Staats-Tagespresse. Wir haben den
Keim dazu in unsern Amtsblättern. Aber von allen Erzeugnissen
der Presse gelten die Amtsblätter mindestens als die langweiligsten, viel-
fach als die schlechtesten, durchschnittlich als die farb- und geschmacklosesten.
Die Amtsblattpresse hätte die Aufgabe, vorbildlich für die gesamte Tages-
presfe zu wirken. Von der Erfüllung dieser Aufgabe hält sie sich ängst-
lich fern. Im Vergleich mit der „unabhängigen" Presse stellt sie den
dürftigsten Wuchs dar. INuß das sein?

Es hat zunächst eine entschuldigende Arsache. Eine Presse, die
gleichsam im Namen der Regierung und der Behörden redet, kann sich
in Ton und Inhalt nicht so gehen lassen, kann nicht so unbedenklich mit
der „Sensation" der Eintags-Meinung, der verantwortungslosen Geist-
reichelei und der gefälligen Oberflächlichkeit, der brutalen Mache und
Lendenz der „nur" von Geschäfts-Interessen und Parteiprogrammen ab-
hängigen „unabhängigen" Presse in Wettbewerb treten. Sie kann eben-
sowenig wie Schule, Kirche und Behörde sich damit begnügen, den Leuten
nach dem Munde zu reden. Ihr „Bildungs"-Ziel wird ein weiteres
sein müssen, als das in der Tagespresse übliche.

Wenn nur diese Einsicht in der Amtsblattpresse tatsächlich wirksam
würde, wenn namentlich anregend und schöpferisch gewirkt, neue Pfade
gesucht und betreten würden, statt daß sie sich in mehr langweiliger und
vornehm tuender Zurückhaltung erschöpste! Leider ist das aber meistens
nicht der Fall. Alle Vorzüge gewissenhafterer und verantwortlicherer
Haltung dieser Presse werden (ich spreche besonders von den Blättern
außerhalb der Großstadt) vernichtend aufgehoben durch den Fluch der
vergangenen Iahrzehnte: Geschmacklosigkeit. Wir fangen an, in
der Geschmacklosigkeit eine ebensolche Sünde zu erblicken, wie in der Lüge.
„Ästhetische Kultur" habe ich übersetzt als „Sinnen - G e s i t t u n g". Die
Abersetzung ist da; wird das Verständnis nachkommen?

Durchblättert man so ein Amtsblatt, gewinnt man Einsicht in
seinen Betrieb, so stößt man bald aus das Grundübel der Geschmack-
losigkeit. Ich rede nicht von den Blättern, die es im „Örtlichen", „Ver-
mischten" und im „Feuilleton" der übrigen Presse gleichtun an gewissen-
losem Klatsch, Hintertreppen-Sensation, niedrige Leidenschaften nährender
Amterhaltungslektüre. Die das nicht tun, ersetzen allgemein Freude am
Schönen und srische Lebenswahrheit durch platte Tendeuz, aufdringliche
Moral, süßliche und unwahre Empfindungen, Bevormundung der Leser
in geistigen Fragen. Es ist gewiß nicht leicht, Erzeugnisse zeitgenössischer
Dichter zu finden, die die Vorzüge dichterischer Freiheit und anregender
Wirklichkeitstreue mit Freiheit von lüsternem Spiel mit Dingen ver-
binden, über die man entweder ernst und gründlich oder gar nicht denken
sollte, und über die nachzudenken der Masse der Leser, besonders in
Land- und Kleinstadt, überhaupt die Vorbedingungen fehlen. Aber die
etwas ältere Literatur aller Völker bietet hier einen unerschöpflichen
Quell. Der Dürerbund hat vor kurzem ein Flugblatt herausgegeben, das
eine Menge von abdruckfreien älteren, sowie ziemlich billig zu erhaltenden

2. Septemberheft (90? 657
 
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