„Leben". Daß dieses „Leben" schon
wieder sanft verblichen ist, tut nichts
zur Sache; andre Zeitschriften seines--
gleichen kommen über die Kapital--
nöte im Anfang besser hinweg und
treiben's doch um nichts besser.
„Ich kannte das »Leben«, als es
noch ein Embryo war. Ich habe
sogar vier Wochen lang voller Be-
geisterung dafür geschrieben. And
das kam so: ich wurde eines Tages
aufs liebenswürdigste dazu aufge-
fordert, für eine »lebensbejahende«
Zeitschrift zu arbeiten. Die Lebens-
bejahung sei die Hauptsache, wurde
mir in mancher Anterredung ge-
sagt, die jener ersten schriftlichen
Aufforderung folgten. Ich fragte,
auf welche Weise diese Lebens-
bejahung vor sich gehen sollte. Die
Antwort lautete: Auf vielerlei Art.
s. indem man eine Zeitschrift
herausgebe, die der »Woche« er-
folgreich Konkurrenz mache;
2. indem man diese Zeitschrift so
einrichte, daß sie für den »kleinen
Mann« lesbar sei;
3. indem man dieser Zeitschrift
einen »wissenschaftlichen Anstrich«
gebe;
Ä. indem man das so ungemein
wichtige Gebiet der Beziehungen
von Mann und Weib nicht außer
acht lasse und es auf mannigfach
interessante und pikante Weise in
Prosa und Vers — auch in Bil-
dern — behandle;
5. indem man dafür sorge, daß
das »Leben« (trotz Nr. 4) niemals
von so wichtigen Kunststätten wie
preußischen Bahnhöfen ausgeschlos-
sen werde;
6. und hauptsächlich, indem man
dafür sorge, daß dem armen ge-
knebelten Volk sein gütigster
Freund und liebster Genosse er-
halten bleibe... Der Alkohol...
Nummer sechs erregte meine
Verwunderung. Ich sagte, ich sei
zwar Philologe, doch hätte ich schon
manchmal mit meinen blöden Laien-
augen gesehen, daß der Alkohol
nicht gerade... Aber weiter kam
ich nicht. Eine Flut von Profes-
sorennamen, preußischen, deutschen,
europäischen, überseeischen, drang
in mein in Ehrfurcht ersterben-
des Ohr. Alle, all die Größen,
hieß es, seien für den gütigen,
milden, lieben Alkohol und würden
anfs uneigennützigste für ihn ein-
treten. Für ihn, d. h. nicht eigent-
lich für den Alkohol, sondern für den
»literarisch« gewordenen Spiritus:
für den Spiritus des »Lebens«, den
einzigen, der auch auf preußischen
Bahnhöfen trotz des alkoholfeind-
lichen Eisenbahnministers verkauft
werden sollte. Ich fragte, woher
diese Aneigennützigkeit komme, mit
der all diese Apostel Athenes für
den gütigen Alkohol einträten. Diese
Aneigennützigkeit, sagte man mir,
gehe wie ein Fluidum aus von
dem volksbeglückenden, gelehrten,
idealen Herausgeber des »Lebens«,
der sie auf alle zu übertragen
wisse, die mit ihm zn tun be-
kommen. Da fragte ich denn nicht
mehr, nach der Alkoholbeglückung,
mit der ich im Grunde ja nichts
zu tun hatte, sondern ließ mir
meine Arbeit zuweisen und be-
gann. Mein Gebiet war das wis-
senschaftliche. Einer meiner Herren
Kollegen bearbeitete den kunstästhe-
tischen und poetischen Teil. Die
Kunst hielt sich an Rubens. Denn
dem kleinen Mann mußte Gelegen-
heit gegeben werden, sich auch ein-
mal an vollerblühter, nackter, weib-
licher Schönheit zn weiden, — für
zwanzig Pfennig wöchentlich und
ohne in den Verdacht der Ansitt-
lichkeit zu geraten. Die Poesie hielt
sich an Themen wie: sehnende
Sinne, Zusammenhänge zwischen
Geruchs- und sexuellen Empfin-
dungen und ähnliches — all das
durchaus dichterisch und sittlich.
2. Septemberheft WO? 669
wieder sanft verblichen ist, tut nichts
zur Sache; andre Zeitschriften seines--
gleichen kommen über die Kapital--
nöte im Anfang besser hinweg und
treiben's doch um nichts besser.
„Ich kannte das »Leben«, als es
noch ein Embryo war. Ich habe
sogar vier Wochen lang voller Be-
geisterung dafür geschrieben. And
das kam so: ich wurde eines Tages
aufs liebenswürdigste dazu aufge-
fordert, für eine »lebensbejahende«
Zeitschrift zu arbeiten. Die Lebens-
bejahung sei die Hauptsache, wurde
mir in mancher Anterredung ge-
sagt, die jener ersten schriftlichen
Aufforderung folgten. Ich fragte,
auf welche Weise diese Lebens-
bejahung vor sich gehen sollte. Die
Antwort lautete: Auf vielerlei Art.
s. indem man eine Zeitschrift
herausgebe, die der »Woche« er-
folgreich Konkurrenz mache;
2. indem man diese Zeitschrift so
einrichte, daß sie für den »kleinen
Mann« lesbar sei;
3. indem man dieser Zeitschrift
einen »wissenschaftlichen Anstrich«
gebe;
Ä. indem man das so ungemein
wichtige Gebiet der Beziehungen
von Mann und Weib nicht außer
acht lasse und es auf mannigfach
interessante und pikante Weise in
Prosa und Vers — auch in Bil-
dern — behandle;
5. indem man dafür sorge, daß
das »Leben« (trotz Nr. 4) niemals
von so wichtigen Kunststätten wie
preußischen Bahnhöfen ausgeschlos-
sen werde;
6. und hauptsächlich, indem man
dafür sorge, daß dem armen ge-
knebelten Volk sein gütigster
Freund und liebster Genosse er-
halten bleibe... Der Alkohol...
Nummer sechs erregte meine
Verwunderung. Ich sagte, ich sei
zwar Philologe, doch hätte ich schon
manchmal mit meinen blöden Laien-
augen gesehen, daß der Alkohol
nicht gerade... Aber weiter kam
ich nicht. Eine Flut von Profes-
sorennamen, preußischen, deutschen,
europäischen, überseeischen, drang
in mein in Ehrfurcht ersterben-
des Ohr. Alle, all die Größen,
hieß es, seien für den gütigen,
milden, lieben Alkohol und würden
anfs uneigennützigste für ihn ein-
treten. Für ihn, d. h. nicht eigent-
lich für den Alkohol, sondern für den
»literarisch« gewordenen Spiritus:
für den Spiritus des »Lebens«, den
einzigen, der auch auf preußischen
Bahnhöfen trotz des alkoholfeind-
lichen Eisenbahnministers verkauft
werden sollte. Ich fragte, woher
diese Aneigennützigkeit komme, mit
der all diese Apostel Athenes für
den gütigen Alkohol einträten. Diese
Aneigennützigkeit, sagte man mir,
gehe wie ein Fluidum aus von
dem volksbeglückenden, gelehrten,
idealen Herausgeber des »Lebens«,
der sie auf alle zu übertragen
wisse, die mit ihm zn tun be-
kommen. Da fragte ich denn nicht
mehr, nach der Alkoholbeglückung,
mit der ich im Grunde ja nichts
zu tun hatte, sondern ließ mir
meine Arbeit zuweisen und be-
gann. Mein Gebiet war das wis-
senschaftliche. Einer meiner Herren
Kollegen bearbeitete den kunstästhe-
tischen und poetischen Teil. Die
Kunst hielt sich an Rubens. Denn
dem kleinen Mann mußte Gelegen-
heit gegeben werden, sich auch ein-
mal an vollerblühter, nackter, weib-
licher Schönheit zn weiden, — für
zwanzig Pfennig wöchentlich und
ohne in den Verdacht der Ansitt-
lichkeit zu geraten. Die Poesie hielt
sich an Themen wie: sehnende
Sinne, Zusammenhänge zwischen
Geruchs- und sexuellen Empfin-
dungen und ähnliches — all das
durchaus dichterisch und sittlich.
2. Septemberheft WO? 669