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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI issue:
Heft 10 (Juliheft 1925)
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Bruns, Marianne: Reise in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0192

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ihr Zigarettenrauchen wirkte gewaltsam und protzig. Im Wirtsgarten von
Hundekehle produzierten mit reizvoller Leichtigkeit und Geschlossenheit ein
paar Burschen Akrobatenstücke. Als sie Geld einsammelten, gab jedermann
mit mürrisch abgewandtem Gesicht, zu konventionell, ein klares Nein
zu sagen, zu unliebenswürdig, den Burschen ein freundliches Entgelt zu
geben.

Ich habe im Vorbeifahren kein schönes Denkmal gesehen, keine schöne
Kirche, keinen schönen Brunnen. Vier schöne Häuser im ganzen: Rathenaus
Haus im Grunewald, klarfrontig, nobel und geistvoll, und drei kubische,
neuerbaute Beamtenhäuser im Walde bei Zehlendorf, slachen Daches und
völlig ohne Lügenhaftigkeit.

Trotz alledem kann niemand Berlin „ablehnen", denn es lebt! Lebt
ein verschieden gelagertes, gestaltetes, gerichtetes Leben, aber lebt! Un-
verkennbar lebendig, echt wie Tiere und liebenswert in ihrer eleganten
Zweckmäßigkeit sind die schönen Autos. Leicht wie eine reinliche Lösung
einer mathematischen Ausgabe, mit protzloser Selbstverständlichkeit schwirren
sie hin, ganz hurtig und lebendig.

Von Höchster lebendiger Energie strotzt auch der Polizist, der den Ver-
kehr regelt. Es ist gut, in dieser kraftstrahlenden Gestalt an der Kreuzung
zu sehen: das Gewühl erzeugt nicht nur Verwirrte, sonderu auch Wirkens»
sähige, zeugt beherrschende Sammlung, Verantwortungsbewußtheit, Energie.

Ich kam nicht ins Theater, wohl aber in die Nationalgalerie, und be-
gegnete dort einer zweiten, ganz andersartig ausstrahlenden, diesmal
typisch deutschen Art von Leben: Der Fries von Pergamon ist in einem
für gewöhnlich geschlossenen Seitenraum des Museunrs untergebracht. Ein
Museumsdiener zeigte und erklärte ihn uns. Sein Gesicht war das sehr
feingeschnittene eines fürstlichen Dieners, aber ohne Hochmut, ja sanft-
mütig, doch durchglüht von einer feinen geistigen Essenz. Von Begeisterung,
wie sich sogleich zeigte. Er war verliebt in jenes Kunstwerk. Ohne Schul-
meisterei, innig vertraut mit dem Werk, ganz Diener des Werkes, demütig
beglückt, es zeigen und erklären zu dürfen, sprach er in den etwas dürftigen
Schlagworten seines Bildungsgrades und erfühlte doch aus liebender
Hingabe die großen Rhythmen; und die geheimnisvolle Verbundenheit
von Griechenland und Deutschland war in diesem SOjährigen, wenig ge-
bildeten Diener so rein fühlbar wie in Hölderlin.

Eine dritte große Lebenskraft Berlins begegnete mir in Gestalt eines
Dichters. Ich sah Arno Holz. Ich halte es nicht für zufällig, wo jemaud
lebt, und rechne daher auch dieses Leben zu Berlin. In einem Zimmer
im höchsten Stockwerk, wo Staub ehrwürdig, wie Patina dem Kupfer,
den Fußgestellen der Tische und den Seitenmöbeln aufliegt, lebt, betreut
vou einem jahrzehntelang Gefolgschaft leistenden Freunde, dieser Mann
zwischen 60 und 70 Iahren und arbeitet seit Iahren acht- bis zehnstündig
am Tage an der Neuherausgabe und Erweiterung seines riesigen lyrischen
Werkes „Phantasus", arbeitet an der Vervollkommnung des von ihm ge-
fundenen neuen Rhythmus. Mit Goethescher Intensität und Konsequenz
legt er die Gesetze der Dynamik und Statik seiner Verse fest, die zu finden
der Sinu seines Lebens scheint. Bis in die äußere Schreibtechnik hinein
Höchst organisiert und reinlich gelöst ist seine Arbeit. Bedenkenlos spricht
er es aus: Mein Weg ist der einzige Weg der Dichtung in die Zukunft.
Ich bin um Generationen voraus. Er sagt es ohue Prahlerei, dazu ist er
zu alt; nicht um sich selber zu überzeugen, sondern in einer nahezu religiösen

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