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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1925)
DOI Artikel:
Bruns, Marianne: Reise in Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0193

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Nürnberg

Gewißheit. Er kennt nichts als diese seine Arbeit. Weiß nichts von der
Welt, kümmert sich nicht einmal um seinen Ruf. Er arbeitet. Sein Kopf
ist von dieser Intensität ausgemeißelt zu einer Reinheit, wie sie sonst
nur durch Generationen, die gleichen Lebenswillens sind, an einem letzten
Gliede ausgeprägt wird. Man mag über Arno Holz' Werk an sich denken
wie man will — ich selber glaube darüber, was er glaubt, seit ich die
erste Ieile seiner Lyrik las! —, die Lebensenergie, die dieses Werk schuf,
ist beispiellos großzügig.

In Marktredwitz steigt man in einen Zug, der in direkter Fahrt von
Prag nach Paris läuft, und erreicht auf die Art Nürnberg. Von Prag nach
Paris. Sehr fremdartige Frauen, sonderbar zubereitet, mit rotlackierten
Nägeln und phantastischen Kleidern und Gerüchen, essen Früchte, die der
Handel nur in Weltstädte bringt; Männer, deren Kleider bewegteren
Amriß haben, mit großen Blumen im Knopfloch, lächeln unmißverständlich
und doch unverständlich. Die Menschen aus den fremden Nachbar-
ländern müssen anders zum Leben stehsn, anders organisiert sein als die
heimischen. Prag—Paris: erfahrbar wird, wie die Welt klein wird unter
dem Eisenbahnnetz: In gezählten Stunden könnte man in Paris sein,
könnte das Fremde ansehen. Indessen steigt man in Nürnberg aus. Und
es erweist sich, daß Bayern dem Nichtbayern schon Ausland ist. So anders
erscheint dieses Land, daß ich im Begriff war zu überlegen, wie ich dem
Portier begreiflich machen könne, was ich wollte, so als wäre ich im sprach-
fremden Auslande. In Nürnberg gibt es alte Häuser, an die sich be--
deutende Namen knüpfen. Auf dem Berg, in stark gerissener Silhouette
steht die Burg, rührend und traumerregsnd. Von der Balustrade des Burg--
hofes herab sieht man auf steile, rote, uralte Dächer. Dort liegt Albrecht
Dürers Haus, dort Hans Sachs' Bratwurstglöcklein, dort die Kirche mit
Peter Vischers, mit Adam Krafts Arbeit, dort ein alter Hof, ein altes
Tor, ein alter Turm. . . . Wahrlich, ich war durchaus geneigt, mich von
all dem rühren zu lassen, aber ein Widerstand, den ich zuerst nicht fassen
konnte, rief plötzlich laut: „Alles wohlerhalten und etikettiert!" Das ist's.
Diese Stadt ist ein Museum. Aber es schickt sich nicht für eine Stadt,
ein Museum zu sein. Es ist nicht ihr Sinn. Leben und Gegenwart sind
mehr als Pietät. Wenn toter Meister Wesen und Geist nicht Nahrung
der nachkommenden Generationen geworden sind, wenn die toten Meister
nicht in diesem Sinne unsterblich sind: indem man ihre Häuser kon--
serviert, erhält man sie sich nicht. Das ist, wie wenn man die Zwiebel--
schale einer vergangenen Blume bewahrte. Man täte besser, junge Blumen
zu begießen. Zur Ehre toter Meister jungen Kräften zu helfen, ist die
einzig gute Art von Pietät. Ls wird eingewendet, die alten Häuser seien
schön und müßten aus diesem Grunde bewahrt werden. Sie sind nicht
schön, sondern pittoresk. Zudem wohnen Menschen darin, die in den
vorerwähnten Neubauten in Zehlendorf erheblich besser wohnen würden,
die schön sind, weil sie den Menschen ihrer Zeit in Form und Technik
gemäß sind und ihnen leben helfen. Es wird auch eingeweudet, es sei
historisch interessant, eine Stadt zu erhalten. Aber es geht ja nicht! Eine
mühsam teilweise erhaltene Stadt voll restaurierter Gebäude gibt keinen
besseren Begriff vom Mittelalter als eine Szenerie der Meistersinger.
Wer vergangene Zeit nicht in ihrem Geist begreift und auf diese Art sie
neu in sich erschafft, dem helfen auch Mauerreste mit Butzenscheiben-
romantik nicht zum Verständnis. Plötzlich beengt, sah ich mich auf dem
 
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