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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Wahrheit und Sinn
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0248

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müßte, wenn die Menschheit jene Absicht und jenes Verhältnis einhielte,
wird dadurch zu ihrer größten Gefahrt Ia, das einzige und
gesamte tzindernis menschlicher Vollentwicklung, und das ist: ge-
samtsinniger Verwirklichung des Menschenlebens, ist dieses Vorherrschen!
Aud die Frage: wie können wir den Menschen die Absicht auf Ertastung
des Gesamt-Sinns und die Notwendigkeit des Verhältnis-Haltens zwischen
Erkennen und Glauben so ins Bewußtsein einschärfen, daß damit dieses
tzindernis abgebaut wird, — ist das einzige und gesamte Pro-
blem des Menschenlebens!

Es will scheinen, als ob sich der „Versuch" bisher, roh gezeichnet, in den
folgenden einander bedingenden Stadien äbgespielt habe:

1. Zuerst wird Erkenntnis-Sinn, und zwar für die Zwecke des körper-
lichen Lebensdranges gesucht; wir wollen diesen Sinn den „unselbständigen"
Erkenntnis-Sinn nennen.

2. Sodann jedoch wird wieder Erkenntnis-Sinn, jetzt aber für die eigenen,
vom Hilferufe des körperlichen Lebensdrangs unabhängigen Zwecke des
geistigen gesucht; diesen nennen wir den „selbständigen" Erkenntnis-Sinn.

Dieser Verlauf ist gewiß begreiflich; der vom Körper-Anspruch befreite
geistige Lebensdrang stürzt sich (der im Dienste des körperlichen erwor-
benen „Gewohnheit" und dem entsprechenden „Training" folgend) nicht zu
allererst in das Feld des Anerkennbaren, vielmehr in das des Erkennbaren;
überdies aber setzt der Versuch, vermittels des Glaubens Gewißheit zu
erlangen, voraus, daß schon unselbständiger Erkenntnis-Sinn, in gewissem
Amfange, aber auch selbständiger Erkenntnis-Sinn gefunden worden rst.

3. Nunmehr, endlich, konnte darangegangen werden, auch Glaubens-
Sinn zu suchen; daß aber auch dieser vor allem für die Zwecke des körper-
lichen Lebensdrangs gesucht wurde, — weshalb wir ihn „unselbständigen"
Zlaubens-Sinn nennen dürfen — ist nach dem Bisherigen einleuchtend.
Lbenso einleuchtend, daß

4. die Suche nach Glaubens-Sinn für die vom Hilferuf des körper-
lichen Lebensdrangs unabhängigen Zwecke des geistigen — also die Suche
nach „selbständigem" Glaubens-Sinn — vermöge des unerbittlichen Ge-
wichts der vorherrschenden Körperlichkeit als die letzte darankam.

Aber auch wenn die Reihenfolge eine andere gewesen wäre; etwa die,
daß zuerst selbständiger Erkenntnis-Sinn und daraufhin unselbständiger
Glaubens-Sinn, und also erst nunmehr selbständiger Erkenntnis-Sinn
und daraufhin selbständiger Glaubens-Sinn gesucht worden wären: auch
dann marschierte stets Erkenntnis vor Glauben, und in
beiden.- Körper vor Geist.

Wo aber dies Verhältnis (oder Mißverhältnis) in scheinbarer Amkehrung
auftritt, erklärt sich diefe Amkehr ganz einfach daraus: Wo einmal der körper-
liche Lebensdrang aus Lußerlichen Gründen nicht erfüllt werden kann, oder
überfüllt ist und also den geistigen nicht mehr zu Hilfe rufen muß, wird der
geistige Lebensdrang (der in diesen FLllen entweder gar nicht „trainiert" wer-
den konnte, oder aber bis zum Äberflutz hin trainiert worden ist, jedenfalls
aber weiß, daß selbständiger Erkenntnis-Sinn, den er nun fände, zu
den Iwecken des körperlichen Lebensdrangs nicht mehr verwertet werden
könnte, und darum in das Versuchsfeld des selbständigen Erkenntnis-Sinns
gar nicht mehr hineingezogen wird) nun ganz von selber zum Drang nach
Glaubensfrucht, und zwar nach selbständiger Glaubensfrucht; sobald aber
 
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