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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
DOI Artikel:
Trentini, Albert: Wahrheit und Sinn
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0249

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diese Bedingungen wieder weggefallen sind, — von neuem Drang nach Lr--
kenntnis.

Ilm diese Folge von Darstellungen von einer „Geschichte des menschlichen
Versuchs, Sinn-Gewißheit zu finden", vollständig zu machen, muß aber noch
folgendes angemerkt werden: genau in derselben Reihensolge, in welcher an-
statt Gesamt-Sinns die eben umschriebenen Teil-Sinne gesucht und gefun-
den wurden, wurden diese Teil-Sinne nun auch in absolute
Wahrheiten umgefälscht und sodann, folgerecht, in sinn-
unabhängige Wahrheiten umgewandelt. Also auch die Glau-
bens-Sinne! Diese aber, obwohl sie nicht auf dem sinnlich wahrnehmbaren
Felde des Erkennbaren wachsen, ihr Begriff ä'lso der Absolutheit näturgemäß
noch wesenhafter widerspricht, als die Erkenntnis-Sinne, mußten Absolut-
heit annehmen, sahen sich geradezu gezwvngen, hierin den Erkenntnis-Sin-
nen endlich nicht nachzugeben, weil sie sonst gegenüber der Präpotenz der Er-
kenntnis-Wahrheiten in die Nachhand geraten, mit geringerer Äber-
zeugungskraft ausgestattet gewesen wären, als diese: Und doch drehten
ihnen die Erkenntnis-Wahrheiten gerade aus dieser Vergewaltigung, die
sie an ihnen verübt hatten, den Strick. Weil nämlich die Glaubens-
Sinne dem Felde des sinnlich Unwahrnehmbaren und Unerkennbaren
angehören, erklärten die Erkenntniswahrheiten entrüstet: eine Glaubens-
wahrheit sei — überhaupt keine Wahrheit, eben weil sie — keine Er-
kenntnis-Wahrheit sei. Mit Hohn und Verachtung wurden denn — und
werden noch heute — die Glaubens-Wahrheiten von der Erkenntnis-
Wahrheit übergossen,- ihren Höhepunkt aber erreichte diese Ungerechtigkeit
mit dem Augenblick, da die Philosophie, verführt vom immer vollkom-
meneren Schliff, welchen der Drang nach Erkenntnis im „Training" der
steigend zahlreichen und steigend feineren Erkenntnisversuche erhalten
hatte, plötzlich in die Sphäre des Glaubens eingedrungen war und auch das
Änerkennbare für Erkennbares ausgegeben hatte: nun wurde der Glaubens-
Sinn von diesem Hohn, von dieser Mißachtung und von diesem Einbruch
in immer absolutere Absolutheit, und damit auch ins „Behaupten" und „Ver-
ketzern" hineingepeitscht, so daß denn fortab, so oft vorherrschend Drang nach
Erkenntnis sich auswirkte, die Erkenntniswahrheit die Glaubenswahrheit
totschlug, so oft aber vorherrschend Drang nach Glauben sich auswirkte, die
Glaubens-Wahrheit die Erkenntnis-Wahrheit ermordete!

Ietzt also: Zusammenbruch auf allen Seiten! Denn nun stritt jede
Sonder-Erkenntnis-Wahrheit gegen alle anderen Sonder-Erkenntnis-
Wahrheiten und überdies gegen die Gesamt-Erkenntnis-Wahrheit der
zwitterhaften Philosophie; innerhalb jeder Sonder-Erkenntnis-Wahrheit
jede Fach-Erkenntnis-Wahrheit gegen alle anderen Fach-Erkenntnis-Wahr-
heiten und gegen die Sonder-Erkenntnis-Wahrheiten und gegen die Philo-
sophie; innerhalb jeder Fach-Erkenntnis-Wahrheit jede Teil-Lrkenntnis-
Wahrheit gegen jede andere und gegen die Fach-Erkenntnis-Wahrheiten,
gegen die Sonder-Erkenntnis-Wahrheiten und gegen die Philosophie; und
brach überdies erst noch innerhalb der Teil-, Fach- und Sonder-
G l a u b e n s wahrheiten derselbe entsetzliche Krieg jeder gegen jeden, zn°
dem jedoch, um das Maß übervoll zu machen, auch der Streit jeder Er°
kenntnis-Wahrheit gegen jede Glaubens-Wahrheit, nnd umgekehrt, und
der Kampf jeder Glaubens-Wahrheit gegen die zwitterhafte Philosophie, und
umgekehrt, aus Summa Summarum also: ewig fortzeugen-
der Streit im Gebiete des „Erkennens"; ewig fortzeu-

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