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Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
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Rottauscher, Alfred: Das Österreichische Wesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0270

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In Üsterreich wie irgendwo im Reiche steht der deutsche Bauer, der
dentsche Ritter, der deutsche Bürger. Von den Namen fremder Söldner-
führer abgesehen, erscheinen in den Quellen keine anderen als deutsche
Namen. Wenn man in der Zeit romanischen Stils Friederun und Adel--
bär geheißen hatte, hieß man nun Kätherlein und Iörg.

An der Schwelle der Neuzeit vollzieht sich in Osterreich eine unerhörte
Wandlung. Von da an bis zum Beginn des XIX. Iahrhunderts währt die
zweite Epoche des Landes, seine Lntwicklung zur politisch selbständigen Groß-
macht. Wer erfassen will, was sich da plöhlich knapp nach 1500 in Osterreich
ereignet hat, müßte sich — auf Verhältnisse vor dem Kriege bezogen — vor->
stellen, der Großherzog von Baden hätte mit einem Male begonnen, un--
unterbrochen, unsinnig und unorganisch fremde Staaten zu erben. Er
wird König von Böhmen. Er wird König von Ungarn. Er wird König
von Spanien. Und daß das Maß des glückhaften Nnglücks voll werde,
fällt ihm damit auch halb Amerika in den Schoß. Die Habsburger selber
fühlten die Nnmöglichkeit solcher Machtfülle und teilten sie zwischen ihrer
spanischen und österreichischen Linie. Aber von diesem Augenblicke an war
das Haupt des zweiten Zweiges kein deutscher Fürst mehr. Ein inter-
nationaler Grandseigneur trug in Wien die deutsche Kaiserkrone mehr als
Schmuck denn mit Verantwortung. Was bedeuteten die kleinlichen Zän--
kereien der deutschen Duodezfürsten einem Herrscher, in dessen Schatz--
kammer neben der Krone Karls des Großen die Federnkrone des Azteken
Montezuma prunkte?

Fürs erste freilich wurde kaum fühlbar, daß neben Spanien auch das
slawische und ungarische Element in die österreichische Welt eingetreten
war. Spanien war die erste Macht der Erde. Und darum hieß der Sohn
Kaiser Karls V. statt Prinz Hans Don Iuan d'Austria. Darum waren 1529 die
Verteidiger Wiens gegen die Türken nicht Deutsche, Slawen und Nngarn,
sondern Gras Salm, der Pfalzgraf bei Rhein und Don Luis de Avallos.

Aber in dem Maße, als Zeit und Entfernung das Band zwischen
Wien und Madrid lockerten, wurden die slawischen und ungarischen Länder
wichtig. Die österreichischen Habsburger hatten nur zwei Möglichkeiten:
wieder deutsche Fürsten zu werden oder einen Staat in Osteuropa zu
gründen. Daß sie sich für das zweite entschieden, war nicht nur Eigennutz,
sondern ebensosehr Zwang. Deutsch werden, hieß damals, protestantisch
werden: die Habsburger waren katholisch. Deutsch werden, hieß, parti-
kularistisch und schwach werden: die Türken aber standen vor den Toren
Wiens und ihre Macht reichte von Nngarn bis zum persischen Golf, von Süd-
rußland bis in die Sahara. So wurde der vielsprachige Staat geboren, der
der Nation einen überaus begabten Stamm entrissen, aber um diesen Preis
vielleicht Europa, ganz gewiß aber das zersplitterte Deutschland davor be-
wahrt hat, für Iahrhunderte in türkischer Knechtschaft geistig zu sterben.

Seither durfte Osterreich nicht mehr ins Mutterland zurückblicken. Ls
mußte sich ohne Nnterlaß nach Osten verschwenden, mit seinem Blute, so
lange die Türken gefährlich waren, mit seinem Geiste, um den Kitt für
den Staat abzugeben. Mit dem XVII. Iahrhundert ist daher jede Ver-
bindung mit der Nation abgerissen.

Der Ausdruck Osterreichs in jener Zeit ist das Barock. Es ist kein Zu-
fall, daß es nirgends in Deutschland so blühte wie gerade in diesem Lande.
Diese hypertrophisch schwellende, wenig geistige, rein architektonische Kunst
des Prunks, diese durchaus höfische, unnationale Form war nirgends mehr
am Platze.

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