Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
DOI Artikel:
Rottauscher, Alfred: Das Österreichische Wesen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0271

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die dritte Epoche Osterreichs ist jene, da es ein selbständiger, auch poli-
tisch von Deutschland losgelöster Staat war.

Aus dem Zerfall des heiligen römischen Reiches deutscher Nation war
österreich allein als reife Frucht hervorgegangen. In allen übrigen deut-
schen Staaten gab es ein Ziel: das einige Deutschland. Auch in österreich
wollte man das ein bißchen. Aber eigentlich wollte man es doch wieder
nicht. Denn die eigene Ernte war gesichert in der Scheuer. Und damals,
nach den napoleonischen Kriegen, war ja in der Tat das in Ssterreich ge-
lungen, was noch heute der vergebliche Traum der Friedensfreunde ist,
hier war wirklich der europäische Mensch gezüchtet, der nicht nach Nation
fragte. Das Reich hatte deutsche Amtssprache. Deutsches Wesen hielt es
zusammen. Aber im Grunde war das gar nichts anderes als eine abge-
klärte, verständnisvolle Menschlichkeit, die zufällig deutsch sprach. Ihre Iu-
gendstürme waren vorbei. Nun ruhte sie im Genusse des Gewonnenen aus.

Es liegt auf der Hand, daß solch ein Idyll keinem Sturme gewachsen
ist. Die Forderungen der erwachenden Nationen haben das kunstvolle
Gebilde so verzerrt, daß es zum Ende wie eine qualvolle Nachahmung
dessen aussah, was es im patriarchalischen Vormärz gewesen war. Der
Weltkrieg aber brachte als notwendiges Ende das völlige Mündigwerden
jener Völker, denen Osterreich Menschentum geschenkt hatte. Seine Be°
rufung, die im Grunde eben Deutschlands Berufung war, war erfüllt. Ost-
europa ist nicht mehr eine Wildnis. Nnd so kehrt nach getaner Arbeit der
alte Bayernstaat zur alten Muttererde wieder. —

Das, was man im Deutschen Reiche österreichisches Wesen nennt, hat
mit dem heutigen Staate, der Republik Osterreich, nichts oder nur wenig ge-
mein. Es ist der Geist der österreichisch-ungarischen Monarchie. Es ist der
deutsch sprechende Ausdruck des vielsprachigen Staates, dessen Wurzel
deutsch, dessen Ergebnis international war. Es war an den Hof, an den Adel,
an das Offizierkorps, an das Beamtentum, an die Hauptstadt geknüpft.
Es ist „Alt-Österreich". Seine reifste und reinste Form war „Alt-Wien".

Wer den Duft dieser Welt ahnen will, betrachte ein Bild Schwinds oder
Waldmüllers. Er trete in eines der alten HLuser in der nahen Nmgebung
Wiens, in eines dieser Häuser im Stile des Empire oder des Biedermeier,
die mit altväterischem Hausrat im Flur, mit Fuchsien, Pelargonien und
Stiefmütterchen in den Fenstern, mit Glaskugeln zwischen den roten Rosen
des Gartens noch das Gepräge jener Zeit bewahrt haben. An Spätsommer-
abenden, unter dem schweren Schatten der Kastanien ist da noch das Ver-
gangene leise lebendig. Bei tiefem, behaglichem Frieden scheint es plötzlich
wie eine Fabel, daß es irgendwo so etwas wie eine böse Welt geben sollte.

Dieses versunkene Wesen hatte gewiß seine Fehler, jene Fehler, die
in den Hemmungen überreifer Kultur bestehen. Es sog seine Kraft nicht
aus der lebendigen Erde, es segelte wie ein leichtes Wölkchen irgendwo
im Himmel und der Wind trieb es hier und dort hin, wie es ihm gesiel.
Es liebte sein Vaterland über alles und war doch unfähig, das Wort
„Vaterland" oder „Ssterreich" anders als widerstrebend auszusprechen,
aus keinem anderen Grunde als aus Schamgefühl und aus Angst vor
platten Schlagworten. Es nörgelte ohne Nnterlaß an sich selber, denn es
wollte seinen Wert nicht anpreisen, sondern ihn erraten wissen. Es neigte
zum Pessimismus, denn es wußte, daß die Diuge sind, wie sie sind, und
niemand die Welt ändern wird. Es war mißtrauisch gegen alles Geistige
und allem Neuen feind, denn diese schwebende Wage hatte von Anderungen

2H0
 
Annotationen