Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 38,2.1925

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1925)
DOI Artikel:
Rottauscher, Alfred: Das Österreichische Wesen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8168#0272

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nichts zu hoffen und alles zu fürchten. Alt-österreichs Kunst war die
Musik, die Kunst jener, die träumen, seine Literatur das Theater, die Lite-
ratur jener, die nichts lesen. Kurzum, vielleicht mancher Grund zu abfäl-
ligem Ilrteil für den aufwärts strebenden Geist.

Aber man darf nicht undankbar sein. Wenn Alt-österreich auch für das
geistige Deutschland kaum etwas beigesteuert hat, war es doch die fördernde
Umgebung Schuberts und Beethovens. Es besaß in seinen Lebensformen
einen Schatz, dessen Mangel dem neuen Deutschland mehr im Auslande
geschadet hat, als es ahnt. Rnd es besaß eine tiefe und liebe Menschlichkeit,
die über all diese überschlanken Offiziere im weißen Waffenrock, die kleinen
Mädchen in Krinolinen, die klugen Greisengesichter und gütigen Matronen
so warm hinleuchtete wie der ewig goldgelbe Ton aller Gebäude, in denen
Alt-Ssterreich, vom Kaiserschlosse in Schönbrunn bis zum kleinen Amts-
gebäude im sernen Dalmatien, das verwaltete, was es durchaus ehrlich
„das Wohl der Völker« nannte. Und es war, zwischen Nur-Praktischem
und dem Vergnügen hin- und herpendelnd, in seiner sanften Schönheit na-
türlich und naiv. Alle abscheulichen Karikaturen des tzirns, von problema-
tischer Spekulation bis zum Muckertum, alles das ist Alt-Osterreich fremd.

Seit dem Vormärz hat es sich nun freilich in vielem deshalb vergröbert,
weil seine Träger, Verwaltung und Armee, sich aus immer tieferen Volks-
schichten ergänzen mußten. Trotzdem war die Kraft des todgeweihten Wesens
damals, als seine Entscheidungsstunde schlug, noch unheimlich stark. Es
vermochte einen Opfermut zu entzünden, der in der Geschichte unter glei-
chen Verhältnissen beispiellos dasteht. Denn das ist der große Denkfehler,
der heute noch immer begangen wird: daß man von den Enttäuschungen,
die die Monarchie ihren Bundesgenossen bereitet hat, und nie gerechter-
weise von den viel unbegründeteren Äberraschungen spricht, die ihreFeinde
an ihr erlebt haben. Und die sie heute sogar noch viel peinlicher als seiner-
zeit im offenen Kampfe empfinden. Denn jetzt, nachdem es zerfallen ist,
wird plötzlich den fremdsprachigen Völkern Alt-Osterreichs deutlich, was
sie verloren haben.

In einem einzigen Staate der sogenannten Sukzessionsstaaten ist man
gegen Alt-Osterreich oft ablehnend bis zur Ungerechtigkeit. Dieser Staat
ist die Republik Osterreich. Das neu-österreichische Wesen steht schroff
gegen das habsburgische Reich. Alt-Osterreich ist ihm die Zeit der un-
unterbrochenen Blutopfer zugunsten wesensfremder Völker. Es ist ihm eine
Zeit des Verlustes der Nationalität. lind der Ausgang täuscht dem be-
grenzten Nrteile vor, daß alles das völlig zwecklos gewesen sei.

Mit einem Wort, in Osterreich ist sozusagen über Nacht der alte, einst
gebannte Geist der deutschen Reichslande lebendig geworden. Denn es ist
ein Bauernland. Neben Wien zählt es nur sechs mittelgroße Städte.
Im 16. und 17. Iahrhundert wurde ein Bahrtuch darüber gebreitet, das
20. Iahrhundert reißt es weg und läßt es wieder selbständig atmen. Und
nun zeigt sich, daß die konservative Seele der Bauern noch unheimlich zäh
im Alten lebt. Sie haben Groß-Osterreich sozusagen verschlasen. Wäre
dieser Satz naturgemäß nicht etwas übertrieben, so wäre er nicht wahr.
Aber wer psychologische Archäologie betreiben will, der suche in Ssterreich!
Wie zur Zeit, da es noch kein Christentum igab, schlingen in den verschnei-
ten Alpendörfern zur Dreikönignacht dämonische Masken zu Ehren der
Göttin Berchtara ihre Reigen. Wie zur Zeit der Karolinger Pflanzt der
Bauer der alten Mark noch heute in seinem Hausgarten pflichttreu die
 
Annotationen