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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 39,1.1925-1926

DOI issue:
Heft 3 (Dezemberheft 1925)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Selbstentlehnung - Autosuggestion
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7999#0188

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heftigcr cr sich bemühk, in Schlaf zu sinken, dcsto wacher, ja aufgcregter wird
er sich fühlen.

Es ist eine allgcmein bekannte Beobachtung, daß irgendein Personenname, den man
vergessen zu haben meint, einem um so hartnäckiger entschlüpft, je mehr man
sich darüber den Kopf zerbricht; sobald man aber den Gedanken, ich habe den
Namen vergessen, durch die Behaupkung ersetzt: »Er wird nür schon wieder ein-
fallen«, stellt sich gewiß der Äugenblick ein, wo der Name ganz von selber, ohne
die mindeste Anstrengung, einfach wieder da ist.

Wer unter meinen heutigen Zuhörern Radfahrer ist, möge sich an seine ersten Ver-
suche erinnern. Man saß auf dem Rade, hielt krampfhaft die Lenkstange um-
klammert und war völlig beherrscht von der Furcht vor dem Fallen. Plötzlich er-
blickt man mitten auf der Straße eincn Schotterstein oder einen Wagen, der her-
ankommt; man sucht dem Hinderni's auszuweichen, aber gerade, wer sich am
meisten plagt und müht, steuert totsicher darauf zu.

Wer wurde nicht schon von einem Lachkrampf befallen? Da bricht man in ein
unwiderstehlicheS Gelächter aus, daS um so heftiger wird, je mehr man es unter-
drücken will.

Was ging nun eigentlich in all diesen Fällen in uns vor? Jch möchte nicht fallen,
aber ich kann mich vor dem Falle beim besten Willen nicht bewahren; ich möchte
so gerne schlafen, aber ich kann nicht; ich möchte den Namen von Frau Soundso
finden, aber ich kann nicht; ich möchte diesem Hindernis ausweichen, aber ich
kann nicht; ich möchte wohl das Lachen zurückhalten, aber ich kann nicht.

Hier ist's also mit Händen zu greifen, wie in all diesen Konflikten jedesmal, auS-
nahmslos, die Einbildungskraft den Willen niederringt. Durchaus qleichartig ist der
Fall des Dffiziers, der an der Spitze seiner Abteilung sie jedesmal zum Sturme
vorreißt, wenn er nicht das geringste Zaudern merken läßt, während der Nuf:
»Rette sich, wer kann!« fast immer die wildeste Flucht bewirkt. Woher kommt das?
Jm ersten Falle ist in den Soldaten die Einbildung erweckt, sie müßten vorwärts
stürmen, während sie sich im zweiten Fall einbilden, sie seien besiegt und nur schleu-
nige Flucht könne ihnen das Leben retten.

Panurg rechnete mit der ansteckenden Wirkung des Beispiels, das heißt der Ein-
bildung, als er auf einer Seereise einem Händler, an dem er sein Mütchen kühlen
wollte, den Leithammel seiner Schafherde abkaufte; dieses Tier warf er über Bord:
cr wußte, alle anderen würden nachspringen.

Wir Menschen haben mehr oder weniger tcil an solcher Hcrdengesinnung. Fremdes
Beispiel reißt uns wider besseres Wissen und Wollen mit fort, nur weil wir uns
einbilden, wir könnten nicht anders.

So könnte ich tausend andere Beispiele anführen, aber das würde Jhre Geduld
auf eine zu harte Probe stellen. Nur folgende Tatsache muß ich noch hervorheben,
als deutlichsten Beleg für die gewaltige Macht der Einbildungskraft, anders gesagt
des Unbewußten, im Kampfe mit dcm Willen.

So mancher Trunkenbold möchte so gerne aufhören zu trinken, aber eö geht nicht.
Wenn man solche Leute ausfragt, antworten sie ei'nem ganz ehrlich, sie würden so
gerne mäßig leben, geistige Getränke seien ihnen geradezu widerlich, aber sie fühlten
sich zum Laster des Trunkes unwiderstehlich hingezogen, sie wüßten, wie sehr ihnen
das Trinken zum Unheil gereiche, aber beim besien Wollen könnten sie sich ein-
fach nicht helfen. . .

Ebenso gibt es »Gewohnheitsverbrecher«, die ihre Untaten ganz gegen ihren Willen
begehen; fragt man sie nach Beweggründen, bekommt man die Antwort: »Jch
konntc nicht anders, es trieb mich, es überwältigte mich.«

Diese Aussagen des Trinkers wie des Verbrechers entsprechen dcr Wahrheit; sie
 
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