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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1929)
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Halm, August: Evolution - Revolution
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0035

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sobald eines ermüdet ist, besteigk sie ein neues, zu einem frischen Galopp fähiges.
Daß der ununkerbrochene Galopp den Neiter oder die Neiterin den Augen der
andern fchnellstens enkführen muß, daß an kein MNgehen, Mikrennen, Mit-
keuchen auf die Dauer zu denken ist, können wir uns ohne Mühe klarmachen.
Es hat keinen Sinn, ein Publikum zu tadeln, welches, fcheinbar oder wirklich
träge, zurückbleibt. Wenn die Kräftigsten und Kühnsten das Tempo angeben,
so müssen die Durchfchnittsmenfchen alle Hoffnung fahren lassen, vorausgeseHt,
daß Fortfchritk die Parole ist. Angesichts dieses Sachverhalks sind die vielen
Beflissenen, die auf dem Laufenden bleiben, mit der Zeit gehen möchten, ge-
radezu rührend anzusehen.

Wohl aber vielleicht vermögen wir doch wenigstens mit unsern Gedanken zu
folgen? Zum Beispiel: wir malen uns aus, der orbis muswss, der Erdkreis
der Musik, so im Flug durchmessen, sorge doch dafür, daß die Reiterin fchließ-
lich wieder ungefähr an die alte Stelle gelangt. Wie dann? wird sie frifch
und jung, wird sie alk, ermüdek und zerrüktet dort ankommen? Nkach dem,
was wir jeht öfter zu hören und zu lesen bekommen, träfe das Bild ja einiger-
maßen zu. Denn auch die Extremsten der Neutöner sollen den Höhepunkt ihrer
Kühnheiken fchon überfchritten habcn, und man sprichk von ihrer Annäherung an
dcn oder jenen Klassiker.

Gewiß ist es andern ebenso wie mir begegnek, daß sie, was ihnen zucrst als
Kühnheiten, Abenteuer, revolukionäre llnbotmäßigkeiten crfchien und sie als
solche anzog und berauschte, spätcr als höchste Besonnenheik erkannten. Aber,
ich will es nichk in Abrede stellen: auch bei echten Meistern kommen wirkliche
Kühnheiten und Exkravaganzcn vor. Gerade da nun darf man nicht vergessen,
auf welchem Boden, von welcher sichcren Position aus diese Erfcheinungen
sich erheben. llnd eben das pflegt der Anfänger zu übersehen; vermutlich
hauptsächlich deshalb, weil es ihm nicht paßk, und erst in zweiter Linie deshalb,
weil die momentan stärkeren Wirkungcn es ihm antun; er vergißt dann also
gerade das, was solchen einzelnen Wirkungen ihr Necht und ihre Kraft ver-
leiht. Gewiß, die Musik darf und will in den Zustand des Raufches kommen.
Es ist aber ein großer, ein wesentlicher llnterfchied, ob sie aus angesammelter
und gesteigerker Kraft und Begeisterung in diesen Zustand geräk; Lechnifch ge-
sprochen- ob eine im Grunde und ursprüngllch musikalifch rakionale Musik, krafk
ihrer RaLionaliLäk und in dercn (sei es auch mit Kühnheit vollzogeneu) Konsc-
quenz, sich in die Region des Irrationalen emporfchwingk, oder ob sie solches
auf billigcre Weise, und um der Wirkung selbst willen, zu erreichen sucht;
also gleichsam durch Raufchmittel — wodurch nun freilich eine ganz andere
Art von Raufch erzeugt wird. Oder, mchr vom Standpunkt der künstlerifchen
Ethik, ja sagen wir des künstlerifchen Anstands, gesehen: die Neigung zum
Wichtigtun, die vielleichk jedem Menfchen und wohl nicht am wenigstcn
dem Künstler innewohnt, hält sich nakurgemäß vor allem an das Wirkungs-
kräftigste, und zwar sucht sie sich gerade die einzelne starke Wirkung heraus.
Auch wenn man der Meinung ist, daß diese ITeigung im Grund uotwendig
und der eigentliche Antrieb zur Übcrwindung der natürlichen Trägheik ist, daß
ohne sie gar zu wcnig und nur in seltensten Ausnahmefällen überhaupk etwas
Erhebliches gefchafft würde: auch dann wird man gestehen, daß dieser Trieb
der größken und sublimsten Kultivierung bedarf, soll cr nicht das Schaffen ver-

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