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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 8 (Maiheft 1929)
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Bernhart, Joseph: Buch und Leser: Rede zum Tag des Buches in München
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Michel, Wilhelm: Die neuen Beziehungen zwischen Religion und Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0094

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„Was bedarf die Menge? Ein Höheres, aber ihrem Zustande Analoges. Mas
wrrkt auf sie? Der tüchtige Gehalt mehr als die Form. Was ist an ihr zn
bilden wünfchenswert? Der Charakter, nicht der Gefchmack: der leHte muß
sich aus dem erften entwickeln. — Was ift zu vermeiden? Das Abslruse, das
Flache, das Freche, das Lüfterne, das Trockene, das Sentimentale. Zu for-
dern: das Rechte, das Tüchtige aller Zeiten und Völker."

So hat Goekhe es gewollt! Wächter, wie weit ist's gegen Tage?

Also feiern wir diesen Tag des Buches! Feiern wir ihn als Tag des Ge-
richtes über Spreu und Weizen; als Tag alles Unvergänglichen in dieser
Zeik der Weltangft: ob Sein oder Nüchtsein; als Tag unsrer dringlichftcn
Erkenntnis:

Zm 2lnfang war das Wort.

Die neuen Beriehunqen rwischen Reliqion und DichLunq

Von Wilhelm Michel

si^-in neues Verhältm's zwifchen Religion und Dichtung sehe ich darin sich
anbahnen, daß auf der einen Seite dcr moderne Dichker und Likerat sich
der religiösen Fragestellung zu erfchließen gezwungen ist und daß auf der
nndereu Seitc, im rcligiösen Bereich wieder das Bewußtseiu hochkommt, daß
Religiou mit allem Leben verbundcn, für alles Lebeu verankwortlich ist
auch für dasjenige, das sich im Künstler darstellk.

Neu ist dieses Berhältnis, denn es hebk sich in der unzweideutigsten Wcise
von deni bisherigen Zuftand ab. Wie war dieser befchasfen?

Die Religion stand der modernen, d. h. von dcn Zeitkräften echk ergriffeneu
Äichkuug (und Geiftesregung überhaupt) mik einer ablehnenden, ja finstereu
und verdrossenen Scheu gegenüber; teils mit 2lngft, teils mik Berachtung.
Sie betrachtcte sie nicht etwa bloß als cin im Zrrtum befangenes Tun (deun
mit irrigenr Tun der Menfchen hak die Religion immer zu sthaffen, und wenn
sie sich um irrende Menfchen nicht mehr kümmern wollte, häkte sie auf Erdeu
überhaupt nichts mehr verloren). Melmehr stand die Religion vor der moder
nen Literatur wie vor etwas, das es so nicht geben durfte. Sie strich diesen
Teil Leben gleichsam arrs. Sie gab ihn von vornherein preis. Sie wußke ihn
überhaupt nicht als zur Welt gehörig und rnit ihr, der Religion, verbunden
zu fassen. 2lm fchärfsten war diese Haltung eines grundsätzlicheu „Dcsinter-
essenrents" in der protcftantifchen Kirche ausgeprägt.

Dieser weltlosen Geistesverfassung der Kirche entsprach auf seiten des Litc-
rakeutums der Wahn, daß es für Dichtung und Gedanke eineu abgegrenzken,
rein weltlichcn Bereich gäbe, in dem religiöse Fragestellungen 'iberhaupt keine
Rolle spielten. Der weltlos gewordcnen Neligion stand cinc völlig läkularisierte
Likeratur gegenüber, die vergessen hatte, daß in allen mensthlichen Fragen
die religiöse Frage steckt, und zwar nicht als eine mögliche Betrachtungs-
weise, sondern als der eigentliche Kern. Sie wußte nicht mehr, daß, wcr von
wirklichem menfchlichem Leben spricht, religiöse Fragen abhandelt. Vergessen
hakte diese Literatur, daß auch das, was der Literat tut, immcr gefchieht in der
Wahl zwifchen dem Geist der Höhe und dem Geist des Abgrunds; in der
Wahl zwifchen der Hingabe an den großen Lebenszusammenhang und dem
Eintrikt iu die dämonifche Berschließung.

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