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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1929)
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Ullmann, Hermann: Heimkehr nach Europa
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0419

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Heimkehr nach Europa

Von Hermann Ullmann
Lieber Freund!

^ ährend sich mein Schisf zwischen Llsrika und Amerika auf hoher
See Europa näherk, muß ich an viele Gespräche denken, die wir
gesührk haben in dem heißen und vergeblichen Bemühen, durch den Vorhang
von Sorge und Drohung, der vor unserer Zukunft hängk, durchzustoßen. Ich
bringe viele neue Kennknisse von diesem kurzen Ausflug in die neue, iu
Wahrheik uralke Welk zurück. (2luch hier ist Europa anmaßend in seinen
Namengebungen.) Aber über alle Kennknisse hinaus scheink mir persönlich
das Werkvollste: ich habe ein wenig Distanz zu Europa geschmeckk.

Zu diesem, unserem alken, müden, überlebendigeu Europa, das nichk warten
kann, durchaus keine Zeik hak, immer Probleme, Lebensprobleme erledigen
muß. Probleme seines höchst werkvollcn, einzigarkigcn, unerseHlichen Lebens.
Zugegeben: ohne Europa wäre die Welk ohne Impuls, im Augeublick
wenigstens. Aber eines scheink mir doch jeHk schon unbestreikbar: Europa
nimmk sich viel wichkiger, als es von der Welk genommen wird. Und es gehk
aus dieser Selbstüberzeugtheik und aus dem GeseH der Trägheik heraus in
einer falschen, in einer veralkeken Richkung.

Weil wir in unserem alken Europa diese unsäglichen Schwierigkeiken haben,
weil es bei uns so schwer geworden ist, zu leben, makeriell und geistig, weil
unser ganzes enropäisches Leben so ungcheuerlich problcmakisch geworden isl
— darum dichken wir uns cin pakhekisches Endgefühl an, sprechen vom Un-
Lergang des Abendlandes und glauben Erkennknisse gewonnen zu haben.
Eine in ihrer Ark großarkige Lyrik, eine Überkragung unserer großen inneren
Krisen gewissermaßen ins Objektive.

Jch habe in ein Land hineingesehen ohne alle Endgefühle, nur in Anfangs-
und Zukunftsgedanken lebend. Keine Handlung, kein Work, das nicht ein
Versprechen, ein Wechsel auf eine schöne ZukunfL wäre. Es kommk nichk
darauf an, ob die Stcherhcik bestehk, daß dicse Wechsel eingelöst werden.
Auch die brasilianischen Bäume wachsen wohl nichk in den Himmel. Wer
kann über das Welkgeschehen Buch führen? Es kommk vielmehr darauf an,
daß Millionen Menschen, höchst aktiver und zum Teil leistungsfähiger Men-
schen, in diesem Gefühl leben uud arbeiken. Ilnd infolgcdessen mikErfolg die
ungeheueren NukurschäHe, die ihnen zur Verfügung stehen, verwerken, ihr
Leben gleichsam fröhlicher und leichker leben als wir, und ihre Kinder und
Kindeskinder nach Menschenvoraussichk in Sicherheik wissen, indes wir uns
bang fragen, welchem Schicksal wir unsere Kinder enkgegenschicken.

Ich rede nakürlich nichk von ürordamerika, das die bösarkigen, aus unersäkt-
licher Herrsch- und Habsuchk geborenen Problcme Europas auf eigene 2lrk
zur höchsten Höhe zu steigern und die ganze Welt damik zu beglücken sich
anschickk. Ich rede von Ländern voll unermeßlichen nakürlichen Reichkums,
der LroH jahrhunderkelangen Naubbaus heuke noch unerschöpflich scheink und
Lebensraum für Millionen künftiger Menschcn gewähren kann. Ich rede von
Ländern, die, jedes für sich so groß wie Europa oder seine Großstaaken, warken
können und warken wollen, wenn sie nichk von der europäisch-amerikanischen

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