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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1929)
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Schaeffer, Albrecht: Offene oder heidnische Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0346

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Qffene oder heidmfche Form*

Von AlbrechkSchaeffer

I)^<etrachten wir einen Menfchen, der im Schlafe liegt, so fcheint er ver-
^^fchlossen. Sein fefter Leib ift gefchlossen, und abgefchlossen ift sein Inneres
durch die gesenkten Lider. 2lber er atmet. Mund und Mase, mehr odcr minder
geöffnet, halten das Werk des Lebens durch unablässige Speisung aus der
Akmosphäre im Gang, nnd unwahrnehmbar tun es außerdem die Legionen der
in seiner feften Haut offenen Poren. Gefchlossen — ift er offen zugleich überall.
Wenu er aber crwachk, so erfchließt ihm das geöffnete 2luge die Welt bis in
wcitefte Ferne, und über diese hinaus, über das Diesseits hinaus ift die Seele
ihm offen für ein Ienseits und Gott. Wir wissen, wenn wir ihn ansehn, nicht
zu entfcheiden, ob er mehr gefchlossen zu nennen sei oder offen. Von ihm selber
wird es abhängen, wofür sich sein Wille entfcheidek; und dennoch — was er
ift, daran wird sein Wille beteiligk sein, aber auch er entfcheidet es nicht.

Wie es fchcint, galken die Organe des 2lkmens dem griechifchen Menfchen als
lebenbewirkende mehr als uns, wenn wir aus Äußerungen fchließen wollen wie
unserm: mein Blut erftarrte vor Schreck — oder: mir ftand das Herz, vder
— von einem Wunden: cr verblutete, und beim Sterbenden: sein Herz blieb
ftehn, wo wir den Griechen,beim Homer, sagen hören: sein Hauch enkflog fauch
beim Verblutcnden) oder: mir brach der Odem. Dies ift rechk; denn eine Stö-
rung des 2ltemgangs ift es, die erft auf den Herzgang wirkt. Der Kreislauf
des Blutes ift im Leibes-Inneren abgefchlossen; seine Verbindung nach außen
geht über den Weg dcs 2ltems. Im Bluk (Chriftus vergoß das seine für die
Seinen) glauben wir heute das Leben zu haben; das Hffnen einer 2lder ift die
Eröffnung des Todeswegs, 2lbfchluß des hiesigen, Eröffnung jenseitigen Lebens,
und so wären wir denn, hieraus zu fchließen, leiblich wie geiftlich gefchlossen,
während der heidnifche Gricche offen war.

Er war es in der Tat und so sehr, daß er es nichk sehr zu bedeuken brauchte
und nachgiebig sein konnte einer Willens-ITeigung zur Gefchlossenheit. Offen
war er — er atmete gern und tief. .Ilogslstor" nennt Homer, „odemgroß"
oder „mächtig atmend", gern seine Helden, und „popn^monos" — von gnoo:
blasen, wehn — war ihm ein geiftig durchwehker, klar verftändiger Mmfch.
2lkmend bildeke cr, aus dem Schöpfen und Enklassen des uährenden Odems,
seinen mächtigen, hinrollenden, wie der 2ltem sich unermüdlich wiederholenden,
wie der 2ltem durch wechselnde Zäsuren geteilten Bers, den Hexameter, der
nnmer fchließend sich immer öffnek. 2lus dem größten, in diesem Berse gewirk-
ten Gedicht der Jlias hier ein Bild:

Der Herrfcher jedoch Agamemnon
Stand den Stab haltend auf. Den fchuf sich plagend Hephalftos,
llnd es gab ihn Hephaift zuerft dem Schirmherrn Kronion,

2lber es gab ihn Zeus dem fcheinumgleißten Geleiter;

Hcrmes der Schirmherr gab ihn dem rossegeißelnden Pelops,
Wiederum Pelops gab ihn Atreus dem Hirten der Leute;

Sterbend ihn Atreus ließ dem widderreichen Thyeftes,

Oer Leser des Kunßivarts nehme den hier folgenden Aufsatz als Gegensiück zu dem im
Oezember-Hefk auf Seike iz8 ff. erschjenenen „Zur effenen oder chrifilichen Form", ein Versuch
von Bernhard Rang.

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