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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 9 [Juniheft 1929)
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Bach, Rudolf: Von der Zukunft des dramatischen Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0187

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Von der Zukunft deö dramatischen Gtils*

Von Rudolf Bach

^t^as Theaker kann seinem Wesen nach so wenig verschwinden, als cs etwa
^-^möglich wäre, daß die Menschheit, die das Wunder ciner vom Allkags-
gebrauch bis zum Tönen der leHLen Ahnungen, vom zündenden Work vor
Hunderttausenden bis zum einsamen, halb gemurmelken Gebetslauk reichenden
Sprache besiHk, sich nur durch Gebärden verständigen, oder daß sich das Leben
der Gegenwark ekwa in Telephongesprächen erschöpfen könnte. Es bestehk ein
Urkrieb, menfchlich und künstlerifch, nach dem Original, nach der Wirklichkeit
in allem Schein, nach dem unmikkelbaren, lebendigen Gegenüber. Film, Radio,
Sprechplatte möchke ich Dariakionen dieses Urtriebs nennen, sehr wichkige und
enkwicklungsfähige Variakionen. 2lber nie kann durch sie das Thema selbst
aufgehoben werden. Was zur geistigen Gesundheit nottuk, ist eine reine Schei-
dung der einzelnen Bereiche; je klarer, je Liefer begründet man sie vollzieht,
desto mehr Lufk wird um jeden Bereich sem, desto freier wird er sich zu enk-
wickeln vermögen, desto eher werden überall Leben und Kunst, Bedürfnis und
Fähigkeit, Wollen und Können einander enksprechen.

Das Borhandensein dieses Urkriebs ist ein Trost in aller Verwirrung; dennoch
machk sich fchuldig, wer auf ihn sündigen zu können glaubk. Die Unruhe ist,
wie auf den meisten Gebieken künstlcrischer Bckäkigung, auch auf dem Theaker
noch so groß, daß es aller Konzenkration bedarf, um aus den fragwürdigen
Zuständen hinaus zu gelangen. Die Unruhe ist am fchwächsten dork, wo eine ge-
fchlossene Schichk eine gefchlossene Bühnenwelk bedingt: im Theater der mon-
dänen Gesellfchafk; und am stärksten, wo vor einer vielfälkigen, nur von ein
paar kräfkigen Impulsen zusammengehalkenen Menge aus der ihr enksprechen-
den neuen Lebenshalkung heraus gespielk werden mußke, bei den Theatern des
Bolkes. Die Bühnen des Neichs stehen, dem aus verschiedenen Ständen ge-
mifchkeu Publikum gemäß, in der Mitte. Im ganzen kann man sagen, daß
Theater und Drama „keinen soziologifchen Raum mehr um sich haben". Jhn
wiederzugewinnen, ist augenblicklich die erste und leHLe Forderung. Diese ver-
langk zunächst eine Veränderung der Posikion, in der das Theaker noch immer
verharrk. Es muß in einer Richtung bcwegt werden, in der sich ein soziologifcher
Raum wieder anfchichten kann, es muß, ohne sich im Willen nach falfchcr
Popularitäk ekwas zu vergeben, eine möglichst große Anzahl der verfchiedensteu
Menfchen vor seinem Podium vereinigen können.

Solche Forderungen fchmecken in allen künstlerifchen Dingen und besonders bei
einem so fließend lebendigen Organismus wie dem Theaker leichk uach dürrer
Theorie, die nicmand nüHe ist. Indessen, koenn wir uns klar werden wollen, ist
es unumgänglich, uns ihrer zu bedienen. Die große Gefahr unserer Zeit beim
Verhandeln geistiger Gegenstände bestchk in der maßlosen ÜberfchäHung der Im-
ponderabilien, der Nuancen, welche wichkige Elemente des Relakiven, aber cben
nur des Relakivcn sind. In ihrem Flimmern vcrfchwindek der Gegenstand
selbst. Es ist heuke dahin gekommen,daß in dem,was man Praxis nennen möchke,
sich der rastiuierteste, kheorckisierende Inkellektualismus verkappt, während die
klare, mukige Theorie das Lebendige enthält. 2lls solche gelke die unsere!

' Vortrag, gehallen füc einen KreiS der Freunde dcs neuen TheaterS in Hamburg.

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