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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1929)
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Rang, Bernhard: Buch und Volk in unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0100

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Buch urrd Volk ru unserer Zeit

Von Bernhard Rang

(Zaß das Schrifttuin als geisüger Raum der NÄion zu begreifen ift, wie
^-^dies kürzlich Hugo von Hofmannsthal in einem Vorkrag (Verlag der
Brcmer Presse) getan hat, erfcheint zweifellos als eine Forderung von beson-
derer Bedeukung. Deckt sich diese Behauptung aber mit der Wirklichkeit, durch-
drmgen Buch und Volk sich wirklich so innig? Hofmannsthal hat seine Be-
trachkung durch die Erweiterung des Begriffcs „Schrifttum" (weit über das
Buch hinaus zu jeglicher fchriftlichen Äußerung, Brief, Rundfchreiben, Ur-
kunde, Benachrichtigung, Presse) so ausgedehnt, daß in solchcm Zusammeu-
hang in der Tat für die Nation so etwas wie ein geiftiger Qrt, ein Ramn
seelifchcr und geiftiger Entfcheidungen crblickt werden kann. Aber begrenzen
wir den Begriff des Schrifttums auf die literarifche Buchproduktion, auf das
gedruckte Buch, so kann in unscrer Zeik nur in einem eingefchränkteren Sinne
das Schrifttum, das sich innerhalb dcr Sprachgemcinfchaft entfaltet, als der
spezififch geiftige Raum der Nation angesehen werden.
tlnfere gcsamkc abendländifche Kultur iß in schr großcm Maße Buchkultur
gewordeu. Die Krisis dieser Kultur aber äußert sich einmal in ciner Über-
fchätzung des Buches, besser gesagt in seiner Überproduktion, zum anderen
— als notwendige Folgc — in der völligen Ratlosigkeit nicht nur des Ein-
zelncn, auch der Gesamtheit, wie diese groteske Anhäufung von Bedruckteni
sinnvoll aufgeiiommen wcrden kann. Noch immer erfcheinen in Deutfchland
jährlich faft zo ooo Bücher, von denen allein fajt 25000 Neuerfcheinungen
darßelleu. Wo abcr sind die Lefcr, die wirklichen Berarbeiter dieses Bücher-
chaos? TLenn man die Lausend Ablenkungen heutigen, besonders ftädtifchen
Lebens bedcnkt, sieht, wie Kino und Radio die Menfchen von ciner inLensiven
oder auch nur flüchtigcn Befchäftigung mit dem Schrifttum abbringen, wird
man nicht erftaunt scin über den geringen Prozenksatz derer, die ein wirkliches
Jnteressc am Buche haben. Schon im Charakter des Buches liegk ja die
Begrenzuug seincr Wirkkraft: nichk das gesprochene, das ftumme, gefchriebene
Wort redet hier zu uns: lesen aber, aus den fchwarzen Lettern das Wort
herauslesen verlangk eine gewisse Übung, verlangk Sammlung und Ruhe.
Weiteste Schichten unseres Bolkes behaupten nun, ob mit Recht oder Unrecht,
soll hier nichk entfchieden werden, daß ihnen das Tempo heukigen Berufslebens,
die Anforderuugcn des Tages, der alltäglichen Kleinarbeik keine Zeit zum gc-
sainmelten Lesen, gefchweige zu einein intensivcren Studium übriglassen. Um
sv fragwürdiger erfcheink die Riescnproduktion tausendfacher Literatur, da ihr
das notwendige Echo nicht entgegengebracht wird, da allc diesc geistigen Lei-
ftungeu von den verfchiedenen Schichten unseres Bolkes nichk linnvoll und
crnigcrmaßcii entsprcchend aufgenomnien und verarbeitet werden.

Es jst das besonderc Verdienft der neuzeitlichen Volksbüchereiarbeit, migesichts
dieser chaotifchen Lage entfchieden und konkret eben nach diesen Lesern zu fra-
gen, für drr doch dcr ganze Aufwand geistiger Produktion nicht sinnlos und
uutzlos verkan werden darf. Wie sehen die Leserfchichten aus, zu denen unsere
„Dichler und Denker" zu sprechen gewillt sind, und was wird denn eigentlich
von ihoen gelesen? Denu noch einnral: das kulturelle Leben unserer Natiou

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