Mit Schiller ging es ziemlich rasch zur Neige. Sie lasen und säuberken noch zu-
sammen den Aufstand der Ntederlanve und den Dreißigsährigen Krieg; dann,
während an der kritischen Ausgabe gedruckt wurde, arbeitete Friederike an
der durch Schiller bezahlten Aussteuer. 2lls sie ihren ersten Knaben zum
ersten Male ins Freie trug, kam aus der Post ein großes Paket an. 2lls es
die Frau ösfnete, fiel ein starker Band heraus, auf welchem zu lesen war:
„Schillers sämtliche Werke. Historisch-kritische 2lusgabe, besorgk von Dr.
Corrrad Schwälble" — „und Friederike Staudenmayer" hatte der schalk-
hafte Vetter mit Bleistift dazu geschrieben. Die junge Mutter sah lächelnd
zu ihrem Knaben auf.
Tribüne
Zum Jugendf>roblem
Ben B. Lindseys, des RichrerS am Jugendgericht in Denver, vielgelesenem
Buch „Die Revolutlon der modernen Jugend"* steht eln iveiser, ja sehr weiser
Satz. Er steht ganz am Ende des Buches und heißt: „Der Jungenstandpunkt...
schließt körperliche und geistige Krast und Geschicklichkeit in sich ein, sowie" (hier be-
ginnt die Weisheit) „die sehr soziale Eigenschaft, sich um seine eige-
nen, und nicht um die Angelegenheiten anderer zu bekümmer n."
Trifft die Behauptung, daß diese Ergenschaft eine sehr soziale sei, zu, dann ist
schlechterdings alles, was die Eltern und Älteren aller Art bei uns heute der Jugend ge-
genüber unternehmen, zu unternehmen kem Ende und Maß finden können, ausgespro-
chen antisozial! Was unternehmen sie? Sie alle kummern sich unentwegt mit Ratschlä-
gen, Ermahnungen, Beschwörungen, Vorwürsen, Anklagen, Entrüstungen, Tränen
und Wehrufen jeder Gattung um ein Problem, das nur mittelbar das ihre,
unmittelbar aber das der Fugend ist; die Fugend ist's, die gegen die bisherige Le-
bensordnung revoltiert; die Jugend, die die Formen dieser Ordnung zerbricht; und die
Fugend, die neue Formen bereits süllt; die Alten aber, als ob nichts anderes
mehr ihrc eigene Sache wäre, als eben die Bekämpfung der Jugendnot, aus der diese
Empörung bricht, die beschwichtigende Anbiederung an das Feuer, das aus diesem
Zerstörungsdrang ihnen entgegensprüht, und die geschästige Beratschlagung darüber,
ob man und wie man, mit mindester Gefahr, die neugeschaffenen Formen sanktionie-
ren solle, machen durch die Bank, leise oder laut, leidenschaftlich oder zahm, und
überdies völlig ungebeten, in „Jugendproblem". Es braucht natürlich nicht erst be-
teuert zu werden, daß es nicht antisozial ist — denn es ist eine bloße Selbstverständ-
lichkeit! — zu verlangen, daß die jungen Menschen von heute mehr und besser als
je früher von Eltern und Angehörigen zu Hause herangepflegt und erzogen, >in der
Schule unterrichtet und wiederum erzogen, gleichzeitig aber auch von allem, was sich
„organisierte Gesellschaft" nennt, mit erhöhter Dor- und Fürsorge bewidmet wev-
den; wie eS desgleichen nicht antisozial ist, zu fordern, daß dieseS dreisache Werk
des Denkens, StrebenS und Tuns sür die Jugend im Geist offenster, geduldigster,
duldsamster, großherzigster und liebereichster Einfühlung zu geschehen habe. Was
aber n i ch t zu gefchehen hat und, weil es schon eine wahre Seuche aller sogenannten
„Derantwortlichen" zu werden droht, mit allen Mitteln endlich abgestellt werden
sollte, das ist jener — bei Gott antisoziale — Großbetrieb der gesamten „Dffent-
lichkeit" in Sachen des Jugendproblems, der mit seiner ebenso krampfhast absicht-
' Deutschc Derlagsanstalt, Stuttgact. "
383
sammen den Aufstand der Ntederlanve und den Dreißigsährigen Krieg; dann,
während an der kritischen Ausgabe gedruckt wurde, arbeitete Friederike an
der durch Schiller bezahlten Aussteuer. 2lls sie ihren ersten Knaben zum
ersten Male ins Freie trug, kam aus der Post ein großes Paket an. 2lls es
die Frau ösfnete, fiel ein starker Band heraus, auf welchem zu lesen war:
„Schillers sämtliche Werke. Historisch-kritische 2lusgabe, besorgk von Dr.
Corrrad Schwälble" — „und Friederike Staudenmayer" hatte der schalk-
hafte Vetter mit Bleistift dazu geschrieben. Die junge Mutter sah lächelnd
zu ihrem Knaben auf.
Tribüne
Zum Jugendf>roblem
Ben B. Lindseys, des RichrerS am Jugendgericht in Denver, vielgelesenem
Buch „Die Revolutlon der modernen Jugend"* steht eln iveiser, ja sehr weiser
Satz. Er steht ganz am Ende des Buches und heißt: „Der Jungenstandpunkt...
schließt körperliche und geistige Krast und Geschicklichkeit in sich ein, sowie" (hier be-
ginnt die Weisheit) „die sehr soziale Eigenschaft, sich um seine eige-
nen, und nicht um die Angelegenheiten anderer zu bekümmer n."
Trifft die Behauptung, daß diese Ergenschaft eine sehr soziale sei, zu, dann ist
schlechterdings alles, was die Eltern und Älteren aller Art bei uns heute der Jugend ge-
genüber unternehmen, zu unternehmen kem Ende und Maß finden können, ausgespro-
chen antisozial! Was unternehmen sie? Sie alle kummern sich unentwegt mit Ratschlä-
gen, Ermahnungen, Beschwörungen, Vorwürsen, Anklagen, Entrüstungen, Tränen
und Wehrufen jeder Gattung um ein Problem, das nur mittelbar das ihre,
unmittelbar aber das der Fugend ist; die Fugend ist's, die gegen die bisherige Le-
bensordnung revoltiert; die Jugend, die die Formen dieser Ordnung zerbricht; und die
Fugend, die neue Formen bereits süllt; die Alten aber, als ob nichts anderes
mehr ihrc eigene Sache wäre, als eben die Bekämpfung der Jugendnot, aus der diese
Empörung bricht, die beschwichtigende Anbiederung an das Feuer, das aus diesem
Zerstörungsdrang ihnen entgegensprüht, und die geschästige Beratschlagung darüber,
ob man und wie man, mit mindester Gefahr, die neugeschaffenen Formen sanktionie-
ren solle, machen durch die Bank, leise oder laut, leidenschaftlich oder zahm, und
überdies völlig ungebeten, in „Jugendproblem". Es braucht natürlich nicht erst be-
teuert zu werden, daß es nicht antisozial ist — denn es ist eine bloße Selbstverständ-
lichkeit! — zu verlangen, daß die jungen Menschen von heute mehr und besser als
je früher von Eltern und Angehörigen zu Hause herangepflegt und erzogen, >in der
Schule unterrichtet und wiederum erzogen, gleichzeitig aber auch von allem, was sich
„organisierte Gesellschaft" nennt, mit erhöhter Dor- und Fürsorge bewidmet wev-
den; wie eS desgleichen nicht antisozial ist, zu fordern, daß dieseS dreisache Werk
des Denkens, StrebenS und Tuns sür die Jugend im Geist offenster, geduldigster,
duldsamster, großherzigster und liebereichster Einfühlung zu geschehen habe. Was
aber n i ch t zu gefchehen hat und, weil es schon eine wahre Seuche aller sogenannten
„Derantwortlichen" zu werden droht, mit allen Mitteln endlich abgestellt werden
sollte, das ist jener — bei Gott antisoziale — Großbetrieb der gesamten „Dffent-
lichkeit" in Sachen des Jugendproblems, der mit seiner ebenso krampfhast absicht-
' Deutschc Derlagsanstalt, Stuttgact. "
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