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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 11 (Augustheft 1929)
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Tribünne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0381

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Tribüne

Neue Bücher vom Kriege*

Von Palll Alverdes

^^mmer mehr von denen, die selber dabei gemesen sind, erzählen jetzt vom Kriege;
^)jedem zeigte er ein anderes Gesicht. Kemer kann sich rühmen, alles, was zu ersah-
ren war, selber erfahren zu haben, und so hat auch kaum elner von denen, die bis jetzt
gesprochen haben, diesen Anspruch selber erhoben. Hier und da hat allerdings die
Ahnungslosigkeit und zuweilen auch die Frechheit von Parteigängern behauptet,
in dem oder jenem Buch sei der Krieg beschrieben und inbeschlossen, und damit sei
die Debatte ein sür allemal erledigt. Die Besonnenen schüttelten freilich den Kops
dazu, aber sie schwiegen länger als es gut war oder setzten sich allzu zaghaft zur Wehr.
So hätte es leicht dahin kommen können, daß mit ein oder zwei Niederschriften
der ungeheuerlichen Erscheinung jener vier Jahre Genüge getan sein sollte, und schon
winkte man ab, zeterte über eine Mode der Kriegsliteratur und versicherte, genug
zu wissen. Darum ist es gut, daß sich die Verleger einstweilen nicht abschrecken
ließen: denn einzig dadurch, daß möglichst viele und möglichst verschiedene Erfahrungen
festgelegt werden, wird sich einmal das Phänomen in seiner Ganzheit wenigstens
ahnungsweise begreisen lassen.

Es ist nur natürlich, daß an die meisten Erscheinungen auf diesem Gebiet poetische
Maßstäbe nicht gelegt werden können. Zuweilen sind die Berfasser Dilettanten, die
aus keinerlei Bändigung und Formung ihres Stosses Wert legen wollten; sie schil-
dern ihre Erlebnisse so lebendig, wie es ihnen möglich ist. Es ist crstaunlich, rnit
welcher Anschaulichkeit das manche zuwege bringen. Hier darf gleich daS „KriegS-
tagebuch eines Richtkanoniers" (K. F. Koehler) genannt werden. Gerhard Sie-
gert erzählt darin von den Kämpsen seiner Batterie in den Monaten August und
September des Jahres ich die mit dem Rückzug nach der Marneschlacht ihren Ab-
schluß sinden. Es ist nebensächlich, dabei sestzustellen, daß er sich, ossenbar auf
Grund von Auszeichnungen, hier und da auf überflüssige Einzelheiten einläßt, und
daß er ab und an sich vom Schauplatz der Erei'gnisse hinwegbegibt um ein Weil-
chen ini Tone der Kriegervereinsreden zu schwelgen. Ungemein anschaulich und packend
berichtet er jedenfalls von den Kämpfen vor Tintingy — Les Mesm'l und von der
Marneschlacht; man wird die wirklich atemraubende Schilderung der Vernichtung
einer sranzösischen Artillerie-Abteilung, oder jenes mit Kartätschen-Feuer abgewehr-
ten Bajonett-Angrlsses der Alpenjäger aus die marschierende Batterie nicht mehr
vergessen. Auch im übrigen bringt er eine Fülle von anekdotischen Einzelheiten und
Begebenheiten, von denen manche, wie das Ende jenes armseligen Jnsanteristen aus der
Rückzugöstraße, der mitten zwischen den beiden Heeren liegen bleiben muß, schon fast
mythische Züge trägt. Auch Wilhelm M ichael erzählt in sei'nem Buche „Jnfan-
terist Perhobstler, mit Bayrischen Divisionen im Weltkrieg", (Rembrandt-Verlag) seine
persönlichen Erlebnisse. Dieser Perhobstler ist der Typus des verzweifelt tapferen
und bis zum bitteren Ende kampfeswilligen Frontsoldaten. Er hat Ungeheuerliches
erlebt, und er beginnt davon in einer so rüden Weise zu erzählen, daß man nach den
ersten zwanzig oder dreißig Seiten ernstlich versucht ist, auf die Lektüre der weiteren
dreihundertundsünfzig zu verzichten. Aber dann findet man sich immer unauSweich-
licher angezogen. Mit der grausigen Tragik dieser Graben-, Mmentrichter- und
Niemandsland-Abenteuer, der Jagd aus Menschen und des Gejagtwerdens und mit
der Größe der Gegenstände, nämlich Tod der Kameraden, Tod der andern im Graben

' Dgl. den Bericht im Märzheft d. Z.
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