gegenüber, vergeblichem Tod aus vergeblichem Gehorsam, verschuldetem Tod durch
Dummheit, Fahrlässlgkeit, bürokratischen Starrsinn der eigenen Führung, unver-
schuldetem durch die schauerlichsten Zufälle — wochenlang, monatelang, jahrelang —
wächst lhm auch die Kraft der Darstellung. Was ansangS nur zuchtlos erschien,
ist alsbald mit den kurzen gestoßenen Sätzeu, dem sprunghasten Vvrtreiben der
Handlung, mit den Zynismen und Lästerungen, den eingestreuten Brocken Front-
deutsch und den Unslätigkeiten, der scheinbaren Gefühlsroheit und Gleichgültigkeit
dem Leben in jenen Höllen nur angemessen. Bei der Schilderung endlich der Kämpse
um die Hohenzollerschanze oder des Endes jenes englischen Goliaths oder der letzten
verzweifelten Schlachken des Jahres 1918 scheinen Wahrheit und heroische Dichtung
schon eines. Man ist nicht einen Augenblick versucht zu glauben, daß hier bramar-
basiert wird — und doch dünkt schon dem nur um ein Jahrzehnt vorgerückten
Zeitalter soviel Besessenheit, soviel Treue, Kühnheit und Opferbereitschaft kaum
noch begreiflich. Aber vielleicht ist es das Schicksal aller Kriegergenerationen, daß
ihr die nächste schon nicht mehr glauben will und wohl auch nicht glauben kann.
Ungern glaubt man Karl Wilke, der in „Prisonnier Halm" (Koehler L Amelang)
seine Gefangenschaft beschreibt; aber man wird ihm glauben müssen. Er geriet Ende
1918 in die Hände der Franzosen, und kam mit seinen Kameraden in ein sogenanntes
Vergeltungslager. Wie sich hier unter Erschöpften, Mißhandelten und Verhungern-
den die Kameradschaft alsbald völlig auflöst und wie ein widerwärtiger und schlei-
chender Kampf aller gegen alle einsetzt, wie Zucht und Ehre auf die Auktion geraten
und Liebedi'enern, Angeberei und die schnödefte Eigensucht jeden zu jedermanns Feinde
machen, davon erfährt, wer unter anderen Umständen anderes erleben durfte, mit
Beschämung, ja nüt Entsetzen. Aber dies war auch ein Gesicht des Krieges, und
es ist gut und notwendig, daß es gesehen werden kann. WilkeS Buch ist in seinem
ersten Teil sehr cmschaulich und mit einem deutlichen Gestaltungsvermögen geschrie-
ben, wenngleich sich hier schon zuweilen eine Neigung zu einer etwas banalcn vder
sentimentalen Meditation störend bemerkbar macht. Der zweite Teil bedürfte drin-
gend der Kürzung. Hier tritt vsfenbar die Person des Verfassers allzu peinlich in den
Vordergrund; man möchte auf die Kenntnis von den poetischen Bemühungen des Ge-
fangenen etwa eben im Jnteresse einer gefchlosseneren Leistung lieber verzichten.
Was nun die Kriegsbücher von bekannten Autoren angeht, so enttäuschen A. M.
Freys „Pflasterkästen" (G. Kiepenhauer) am stärksten, gemessen an dem, was
man sich gerade von Frey hätte erwarten wollen. Man kennt ihn vorzüglich als
den Dichter wunderlicher und grausiger Begebenheiten, in denen sich häufig ein skur-
riler Humor den Widerwärtigkeiten und Unbegreiflichkeiten des Daseins überlegen
zeigt. Aber dieömal ist es ihm in den vier Jahren schwersten Dienstes an der Front
— er gehörte zu einer Sanitätskompani'e — des Widerwärtigen und Grausigen zu
viel geworden, und er ist ihm unterlegen. Es versteht sich, daß er darzustellen weiß:
die Genauigkeit der Beobachtung, die bewunderungswürdige Frische der Erinnerung
an die kleinste Ernzelheit, die Sicherheit und die Brillanz seiner Sprache machen
seinen Bericht zu einer sehr bedeutenden schriftstellerischen Leistung. Allein der Hu-
mor hat ihn völlig im Sti'che gelassen, er ist m'cht eimnal mehr sarkastisch oder zynisch,
sondern nur noch gallebitter: er schimpft, er bebt vor Entrüstung. Zweifellos ist
dicse Entrüstung ehrlich. Frey lehnt diesen, lehnk jeden Krieg ab. Er ist radikaler
Pazifist. Darüber läßt sich nicht streiten. Aber gewiß i'st, daß die Hand, die vor
Wut noch zittert, niemals imstande sein wird, ein reineS Bildnis gerade dessen zu
zeichnen, der dieses Zittern hervorruft. DieS scheint mir die Lage des Dichters Frey,
der seine Erlebnisse im Felde beschreibk. Daß ihn persönlich die ganze Zeit nur mi't
Abscheu erfüllt hat und daß er mit nichts etwas zu schaffen haben wollte und wohl auch
hatte, glaubt man ihm ohne weiteres. Allein er überträgt seinen Widerwillen gegen das
Geschehen überhaupt heimlich auf Gestalten und Begebenhei'ten im Einzelnen, und da-
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Dummheit, Fahrlässlgkeit, bürokratischen Starrsinn der eigenen Führung, unver-
schuldetem durch die schauerlichsten Zufälle — wochenlang, monatelang, jahrelang —
wächst lhm auch die Kraft der Darstellung. Was ansangS nur zuchtlos erschien,
ist alsbald mit den kurzen gestoßenen Sätzeu, dem sprunghasten Vvrtreiben der
Handlung, mit den Zynismen und Lästerungen, den eingestreuten Brocken Front-
deutsch und den Unslätigkeiten, der scheinbaren Gefühlsroheit und Gleichgültigkeit
dem Leben in jenen Höllen nur angemessen. Bei der Schilderung endlich der Kämpse
um die Hohenzollerschanze oder des Endes jenes englischen Goliaths oder der letzten
verzweifelten Schlachken des Jahres 1918 scheinen Wahrheit und heroische Dichtung
schon eines. Man ist nicht einen Augenblick versucht zu glauben, daß hier bramar-
basiert wird — und doch dünkt schon dem nur um ein Jahrzehnt vorgerückten
Zeitalter soviel Besessenheit, soviel Treue, Kühnheit und Opferbereitschaft kaum
noch begreiflich. Aber vielleicht ist es das Schicksal aller Kriegergenerationen, daß
ihr die nächste schon nicht mehr glauben will und wohl auch nicht glauben kann.
Ungern glaubt man Karl Wilke, der in „Prisonnier Halm" (Koehler L Amelang)
seine Gefangenschaft beschreibt; aber man wird ihm glauben müssen. Er geriet Ende
1918 in die Hände der Franzosen, und kam mit seinen Kameraden in ein sogenanntes
Vergeltungslager. Wie sich hier unter Erschöpften, Mißhandelten und Verhungern-
den die Kameradschaft alsbald völlig auflöst und wie ein widerwärtiger und schlei-
chender Kampf aller gegen alle einsetzt, wie Zucht und Ehre auf die Auktion geraten
und Liebedi'enern, Angeberei und die schnödefte Eigensucht jeden zu jedermanns Feinde
machen, davon erfährt, wer unter anderen Umständen anderes erleben durfte, mit
Beschämung, ja nüt Entsetzen. Aber dies war auch ein Gesicht des Krieges, und
es ist gut und notwendig, daß es gesehen werden kann. WilkeS Buch ist in seinem
ersten Teil sehr cmschaulich und mit einem deutlichen Gestaltungsvermögen geschrie-
ben, wenngleich sich hier schon zuweilen eine Neigung zu einer etwas banalcn vder
sentimentalen Meditation störend bemerkbar macht. Der zweite Teil bedürfte drin-
gend der Kürzung. Hier tritt vsfenbar die Person des Verfassers allzu peinlich in den
Vordergrund; man möchte auf die Kenntnis von den poetischen Bemühungen des Ge-
fangenen etwa eben im Jnteresse einer gefchlosseneren Leistung lieber verzichten.
Was nun die Kriegsbücher von bekannten Autoren angeht, so enttäuschen A. M.
Freys „Pflasterkästen" (G. Kiepenhauer) am stärksten, gemessen an dem, was
man sich gerade von Frey hätte erwarten wollen. Man kennt ihn vorzüglich als
den Dichter wunderlicher und grausiger Begebenheiten, in denen sich häufig ein skur-
riler Humor den Widerwärtigkeiten und Unbegreiflichkeiten des Daseins überlegen
zeigt. Aber dieömal ist es ihm in den vier Jahren schwersten Dienstes an der Front
— er gehörte zu einer Sanitätskompani'e — des Widerwärtigen und Grausigen zu
viel geworden, und er ist ihm unterlegen. Es versteht sich, daß er darzustellen weiß:
die Genauigkeit der Beobachtung, die bewunderungswürdige Frische der Erinnerung
an die kleinste Ernzelheit, die Sicherheit und die Brillanz seiner Sprache machen
seinen Bericht zu einer sehr bedeutenden schriftstellerischen Leistung. Allein der Hu-
mor hat ihn völlig im Sti'che gelassen, er ist m'cht eimnal mehr sarkastisch oder zynisch,
sondern nur noch gallebitter: er schimpft, er bebt vor Entrüstung. Zweifellos ist
dicse Entrüstung ehrlich. Frey lehnt diesen, lehnk jeden Krieg ab. Er ist radikaler
Pazifist. Darüber läßt sich nicht streiten. Aber gewiß i'st, daß die Hand, die vor
Wut noch zittert, niemals imstande sein wird, ein reineS Bildnis gerade dessen zu
zeichnen, der dieses Zittern hervorruft. DieS scheint mir die Lage des Dichters Frey,
der seine Erlebnisse im Felde beschreibk. Daß ihn persönlich die ganze Zeit nur mi't
Abscheu erfüllt hat und daß er mit nichts etwas zu schaffen haben wollte und wohl auch
hatte, glaubt man ihm ohne weiteres. Allein er überträgt seinen Widerwillen gegen das
Geschehen überhaupt heimlich auf Gestalten und Begebenhei'ten im Einzelnen, und da-
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