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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 7 (Aprilheft 1929)
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Umschau
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0077

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lebt nicht aus der Fülle des „höchsten
Lebensinhaltes", sondern in Hoffnung
nnd Glauben, die nur der Nichtbesitzende
haben kann; nicht gesichert, sondern un-
gesichert.

Der Besitzende ist tvle der Mann im
Märchen, dem sich alles unter seinen
Händen in hartes Gold verwandelt. Dies
tvird besonders deutlich an der Lebens-
philosophie der Dorkriegszeit, die die
Fragtvürdigkeit des geistigen Besitzes und
die kommende Krisis ahnte, aber vom
Leben noch nicht anderS als mit dem
Pathos des Besitzenden zu sprechen
wußte. Simmel sieht in seiner kleinen
Schrift über den „Konflikt der mo-
dernen Kultur" (igiö) das Rückgreifen
von den objektiven Jnhalten der Kultur
auf den bloßen Prozeß deS Lebens, aber
er sieht darin nicht die Not seines ge-
schichtlichen Augenblicks, in dem er lebt,
sondern einen metaphysischen Konflikt.
Dem Prinzip der Form trikt das Leben
wieder als Prinzip gegenüber. Leben ist
ihm daher nicht bloßes, nacktes, armes
Leben, sondern Mehr-als-Leben, schöpfe-

rischeS Leben, das Prinzip einer Lebens-
mctaphysik. So hat es wieder das posi-
tive Borzeichen des Besitzes.

Heute gilt es, nicht auszuweichen, nicht
aus der Not eine Tugend zu machen.
Das Wesentliche kann heute nicht ge-
sagt und besessen werden, sondern es
liegt auf der anderen Seite, der Seite
des Nichtsagbaren. Nicht auf das Was,
sondern auf das Wie kommt es an.
Wir haben heute fchlechterdings keine
Wahrheit, keinen Wert, die unkritisch
hingenommen werden dürfen und sich
einfach wörtlich anwenden lassen. Wir
müssen wissen, daß alles, waö sich
sagen läßt, auch vom Bersucher gesagt
sein kann, daß es immer eine Täuschung
und eine Gefahr einfchließt. Deöhalb
ist es heute geboten, auö der Sicherheit
des Besitzeö heraus in die Distanz zu
treten. Damit, daß die ewigen Werte
zum Besitz geworden sind, haben sie auf-
gehört, Werte zu sein, denn Werte wol-
len nicht besessen, sondern bewährt wer-
den. Jmmer ist das Entscheidende, wie
das geschieht. Hermann Herrigel

Bücherschau

^zessing, Minna vvn Barnhelm,
^Neudruck der ersten AuSgabe (Morawe
und Scheffelt). Wer je Originalaus-
gaben in Händen hatte und nicht glück-
licher Besitzer einer Sammlung ist, wird
den Faksimiledruck, der freilich ein Er-
satz ist, aber eben auch erschwinglich,
nicht für einen Snobbismus halten. Jch
muß gestehen, daß ich die „Wahlverwanöt-
schaften" am liebsten in den zwei ein-
fache» stilvollen Bänden des genannten
Derlages lese und daß ich ihm dankbar
bin, daß ich nun auch dieses Bändchen
besitze. Obschon die deutschen Bücher des
18. Jahrhunderts — im Gegensatz zur
Frühzeit deö Buchdrucks — erheblich
hinter den französischen zurückbleiben,
zeugen die Drncke doch von einem Ge-
schmack, einer Kultur (bei aller Beschei-
denheit), von der die moderne „Buch-
kunst" manches lernen könnte.

Es steht in lächerlichem und beschämen-
dem Gegensatz zu dem osfiziellen Lessing-
enthusiasmus und dem ganzen groß-
sprecherischen Jubiläumöaufwand, daß
außer dicsem Bändchen und einer aller-
dingS sehr empfehlenswerten Antho-
logie aus Schriften und Briefen von

und über Lessing (in den Büchern der
Rose), soweit ich sehe, der Ösfentlichkeit
nichts geboten wurde; vor allem wäre
eine billige gute und ausreichende Ge-
samtausgabe dringend nötig. Einzig
Bong bringt die vollständigen Werke,
die aber immerhin 7Z Mark kosten.
Wäre nicht eine Dünndruckausgabe mög-
lich gewesen? Die Verleger haben aber
osfenbar sehr wenig Vertrauen auf öie
Begeisterung der Nation für „ihren Les-
sing", während es ihnen sonst doch nicht
an Unternehmungslust und Mut fehlt,
wie die löblichen Neuausgaben von Fon-
tane und Burckhardt beweisen.

Knaur hat in seiner billigen Buch-
reihe die „Kultur der Renais-
s a n c e" neu aufgelegt (übrigens auch
einen überflüssigerweise zweifarbig ge-
druckten Faust). Dasselbe Werk erschien
in den rühmlichst bekannten handlichen
Taschenausgaben A. Krönerü (gutes Pa-
pier, Leinenband und spottbillig). Man
ist glücklich, endlich wieder den nach der
Urausgabe wiederhergestellten Text vor
sich zu haben; es wurde lange genug
verlorene Liebesmühe auf die Angleichung
an den Stand der Forschung verwendet.
 
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