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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 12 (Septemberheft 1929)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0464

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Umschau

Eine authentische Droste-Novelle

uch in der Literatllrgeschichte gibt es
Probleme, die nicht zur Ruhe kom-
men wollen. Si'e werfen sich immer wie-
der wie altes Holz. Zu ihnen gehört das
Problem Droste-Schücking, zu dem eine
bemerkenswerte nene Verösfentlichung
vorliegt.

Selbst wer, abgeschreckt durch die Droste-
Romane von Hetene Christaller und Ju-
liane Karwath, mit stärkstem Mißtrauen
„Gervin und L u d m i l l a"*) zur
Hand nimmt, fühlt sich sogleich durch den
Namen des Berfassers entwafsnet: Levin
Schücking. Es handelt sich jedoch nicht
etwa um die „Dunkle Tat", die in den
letzten Jahren wiederholt neu aufgelegt
wurde, sondern um einen aus Schückings
Roman „Die Heiligen und die Ritter"
(167z) von der Droste-Forscherin Hulda
Eggart künstlerisch sehr geschickt heraus-
gelösten Teil der Handlung, der in durch-
sichtiger Verkleidung das Verhältnis der
Dichterin zu Schückiug behandelt, so wie
es sich Zc> Jahre später in der Erinne-
rung des Mannes widerspiegelt. Dieser
Mann war inzwischen verheiratet, seine
Gattin ist gestorben, und dennoch drängt
es ihn, nach drei Dezennien nochmals das
Bild jener genialen Frau heraufzube-
schwören, die osfenbar sein stärkstes Er-
lebnis gewesen ist. Jhre Beziehungen, an-
gesponnen bereits im Oktoher 18^0, als
Frau von Droste verreist war und An-
nette mit ihrer alten Amme, einem dienst-
baren Geist und einem Knechte zusammen
auf Rüschhaus unweit Hülshoff hauste,
wurden bald —- dies geht aus der Novelle
zum erstenmal ganz deutlich hervor —
von einer Jnnigkeit, die durch den daraus
folgenden Aufenthalt SchückingS bei An-
nette, ihrer Schwester und ihrem Schwa-
ger Laßberg auf der MeerSburg sicher
nicht übertroffen, an Ungestörtheit m'cht
erreicht, im Gegenteil durch innere und
äußere Hemmungen eher abgeschwächt
wurde. Darauf weist auch die Titel-Wg-
nette hin, die nicht die Meersburg dar-
stellt, sonder RüschhauS. Bekanntlich sind
alle bi'sherigen Biographien der Droste

') Levin Schücking: Gecwin und Ludniilla.
Eine Dcostenovelle, hecausgegeben von Hulda
Eggact. München, Geocg O. 2L. Callwey.

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veraltet. Eine wissenschaftlichen Anfor-
derungen entsprechende gab es überhaupt
nie. Soweit die Aufhellung des ErlebnisseS
Schücking-Droste in Frage kommt, ge-
bührt alleS Verdienst den Nachkornmen
Levin Schückings, vor allem durch die
Neuauflage des Briefwechsels der Beiden
und die llberraschung mit dem Briefwech-
sel SchückingS und seiner Braut und nach-
maligen Gattin Luise von Gall. Die Tiefe
dieser Beziehungen zu bestreiten oder auch
nur abzuschwächen wäre so kindlich wie
der Versuch, Richard Wagners Liebe zu
Mathilde Wesendonck zu vertuschen. Jm
auSgesprochenen Bekenntnischarakter der
Erzählung liegt deun auch, im Gegensatze
zu den eingangs erwähnten „Dreimäderl-
häusern", der besondere Wert dieser Ver-
öffentlichung, durch welche der Briefwech-
sel gerade an der Stelle ergänzt wird,
wo er seine empfindlichste Lücke aufweist.
Wie intim die Schilderung des Verhält-
nisses ist, zeigen schon die Namen, von
denen der männliche fast daS Lautbild, der
weibliche zum mindesten den Akzent des
Urbildes beibehält. Allerdings dars nicht
übersehen werden, daß die Erzählung nur
im Psychologischen ein Abbild gibt, im
Äußerlichen, vor allem in der Führung
der Handlung hingegen ein Wunschbild,
so sehr, daß die Heldin im Laufe der
Geschlchte sozusagen jünger wird: von
ihrem „Derblühtsein" ist m'cht mehr die
Rede. Schücking wollte scheinbar jenes
„Verhältnis völlig ohne Hoffnung, Lö-
sung und Ausgang" so darstellen, wie es
unter günstlgeren I.Imständen hätte sein
können, sein sollen. Um einen guten
Schluß zu gewinnen, erlaubt er sich mit
der sonst porträtgetreu geschilderten Mut-
ter dcn fast grotesken Eiufall, sie alt-
katholisch werden zu lassen. Aber der
starke Emschlag von Fragen der kirchli-
chen Reform ist offenbar nicht nur zeitlich
bedingt, nicht ausschließlich auf daS Konto
Levins zu setzen, er ist auch drostisch und
ein Widerklang von Konflikten, die wirk-
lich bestanden, von Gesprächen, die wirk-
lich geführt wurden, wie nicht minder Ger-
win-Levins Verstimmung, weil Ludmilla-
Annette nicht will, daß sie sich vor den
Leuten duzen, echt ist, oder die Klage:
„Die Mutter, die Derwandten, die Leh-
rer, alles was tyrannisch auf unsere Ju-
 
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