scherdenheiL — niemals höher über seine Werkbildcr in der greifbaren russi-
schen Wirklichkeik, als es ihr GestalLen gerade eben erforderLe. So enLriß
er sie nichL ihrem russischen Dasein: nach dem Jlllmenschlichen hin wie
Tolstoi, wie Dostojewski, wie Ljesskov. — Tschechost ist und bleibt aber eine
Größe und vornehme Dichtererscheinung. „Er wuchs unaushörlich bis an sein
Lebensende," so schließL Bunin seine Erinnerungen in ihn.
Lose BlätLer
Anton Tschechoff: Wanjka
Aus „Erzählungen", herausgegeben von Arthur Luther (Dom-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin)
(-slsr'anjka Shukow, ein neunjähriger Iunge, seiL drei Monaten beim
^-^^Schuster Aliochin in der Lehre, ging am Abend vor Weihnachken
nicht schlasen. Er warteke, bis der Meister und die Gesellen zur Frühmesse
gingen, holte dann aus dem Schrank des Meisters die Tinkenflasche und
einen Federhalter mik einer verrosteten Feder darin, und nachdem er ein zer-
knittertes Stück Papier vor sich ausgebreiLet haLLe, begann er zu schreiben. Ehe
er den ersten Buchstaben hinmalte, sah er sich ein paarmal scheu nach der Tür
und den Fenstern um, schielke nach dem düsteren Heiligenbild, an das rechks
und links die Negale mit den Leisten stießen, und seuszte. Das Papier lag aus
dcr Bank; er selber kniete davor auf dem Boden.
„Lieber Großvakcr, Konstantin Makarytsch!" schrieb er, „ich will Dir einen
Brief schreiben. Ich wünsche Euch ein sröhliches Weihnachtssest und alles
Gute vou GotL. Ich habe ja weder Vater noch MuLLer, nur Dich allein
auf der Welt."
Wanjka blickte nach dem dunklen Fenster, in dem das Spiegelbild seiner
Kerze flackerte, und stellte sich lebhast seincn Großvakcr Konstantin Maka-
rytsch vor, der bei dcm GuksbesiHer Shiwariow NuchLwächker war. Das
war ein kleiner, magerer, aber ungewöhnlich flinker und beweglicher Alter
von etwa 65 Iahren, mit immer lustigem GesichL und etwas bctrunkenen
Augen. Tagsüber schläst er in der Gesindestube oder schäkert mit den Kö-
chinnen, nachts aber geht er, in einen weiten Schafspelz gehüllk, rund um
die Gebäude und sthlägt an sein Gong. HinLer ihm her gehen mit gesenktcm
Kopf die alte Hündin KaschLanka und der Hund Wjun*), der dicscn Namen
bckommen hat, weil er ganz schwarz ist und lang und schmal wie ein Wiesel.
Dieser Wjun ist immer ungehcuer respektvoll und sreundlich, er wirft sowohl
den eigenen Leuten wie den fremden gleich wohlwollende Blicke zu, aber
beliebk ist er deswegcn doch nicht. Hinter seinem Respckk und seiner Demut
verbirgt sich die gemeinste jcsuitische Hinterlist. Nicmand vcrsteht es besscr,
als er, sich im richkigen Augenblick heranzuschleichen und jcmand in dic Waden
zu fahren, oder sich im Eiskeller einschließen zu lassen, wo das Fleisch liegk,
oder einem Bauern ein Huhn zu stehlen. Er hat schon mchrmals zerbrochene
Hinkerbeine durch nachgeworfene Knüppel gehabk, zweimal hat man ihn auf-
' Schlammbeißer.
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schen Wirklichkeik, als es ihr GestalLen gerade eben erforderLe. So enLriß
er sie nichL ihrem russischen Dasein: nach dem Jlllmenschlichen hin wie
Tolstoi, wie Dostojewski, wie Ljesskov. — Tschechost ist und bleibt aber eine
Größe und vornehme Dichtererscheinung. „Er wuchs unaushörlich bis an sein
Lebensende," so schließL Bunin seine Erinnerungen in ihn.
Lose BlätLer
Anton Tschechoff: Wanjka
Aus „Erzählungen", herausgegeben von Arthur Luther (Dom-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin)
(-slsr'anjka Shukow, ein neunjähriger Iunge, seiL drei Monaten beim
^-^^Schuster Aliochin in der Lehre, ging am Abend vor Weihnachken
nicht schlasen. Er warteke, bis der Meister und die Gesellen zur Frühmesse
gingen, holte dann aus dem Schrank des Meisters die Tinkenflasche und
einen Federhalter mik einer verrosteten Feder darin, und nachdem er ein zer-
knittertes Stück Papier vor sich ausgebreiLet haLLe, begann er zu schreiben. Ehe
er den ersten Buchstaben hinmalte, sah er sich ein paarmal scheu nach der Tür
und den Fenstern um, schielke nach dem düsteren Heiligenbild, an das rechks
und links die Negale mit den Leisten stießen, und seuszte. Das Papier lag aus
dcr Bank; er selber kniete davor auf dem Boden.
„Lieber Großvakcr, Konstantin Makarytsch!" schrieb er, „ich will Dir einen
Brief schreiben. Ich wünsche Euch ein sröhliches Weihnachtssest und alles
Gute vou GotL. Ich habe ja weder Vater noch MuLLer, nur Dich allein
auf der Welt."
Wanjka blickte nach dem dunklen Fenster, in dem das Spiegelbild seiner
Kerze flackerte, und stellte sich lebhast seincn Großvakcr Konstantin Maka-
rytsch vor, der bei dcm GuksbesiHer Shiwariow NuchLwächker war. Das
war ein kleiner, magerer, aber ungewöhnlich flinker und beweglicher Alter
von etwa 65 Iahren, mit immer lustigem GesichL und etwas bctrunkenen
Augen. Tagsüber schläst er in der Gesindestube oder schäkert mit den Kö-
chinnen, nachts aber geht er, in einen weiten Schafspelz gehüllk, rund um
die Gebäude und sthlägt an sein Gong. HinLer ihm her gehen mit gesenktcm
Kopf die alte Hündin KaschLanka und der Hund Wjun*), der dicscn Namen
bckommen hat, weil er ganz schwarz ist und lang und schmal wie ein Wiesel.
Dieser Wjun ist immer ungehcuer respektvoll und sreundlich, er wirft sowohl
den eigenen Leuten wie den fremden gleich wohlwollende Blicke zu, aber
beliebk ist er deswegcn doch nicht. Hinter seinem Respckk und seiner Demut
verbirgt sich die gemeinste jcsuitische Hinterlist. Nicmand vcrsteht es besscr,
als er, sich im richkigen Augenblick heranzuschleichen und jcmand in dic Waden
zu fahren, oder sich im Eiskeller einschließen zu lassen, wo das Fleisch liegk,
oder einem Bauern ein Huhn zu stehlen. Er hat schon mchrmals zerbrochene
Hinkerbeine durch nachgeworfene Knüppel gehabk, zweimal hat man ihn auf-
' Schlammbeißer.
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