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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1929)
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Bernhart, Joseph: Buch und Leser: Rede zum Tag des Buches in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0091

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Seme Liebe sinden! Was bedeutek das? Wie Lommt es zu dem scbönen Er-
eignis zwischen Buch und Leser?

Die Antwort liegt in der alten Weisheit: Wir begreifen nur, soweit wir
lieben; indem wir aber lieben, begreifen wir auch.

Der Leser muß bereit sein fur das Buch, guten Willens für die Sache, die
es bringt, und für den Menfchen, der aus ihm redet. Anderseiks: die Sache
des Buches muß der Rede wert, der redende Menfch der Liebe werk sein: er
selbsl, der Autor, muß ein Liebender sein, oder sagen wir, was dasselbe ist, ein
Glaubender. Wer etwas machen will, mnß etwas sein; um ekwas zu sein,
braucht es Gnade und die ganze Schwere eines vollen Menfchenloses.

So hat auch der Mann gedachk, der uns hier und heute führen darf: Goethe.
Er war, wie er's von andern gefordert hat, ein liebender Lcser — Leser der
Bücher wie des ganzen großen Buches der Welt: weik und willig aufgetan,
keufch empfangend, rein vernehmend, ein gelassenes Ohr, ein gelassenes Auge.

„Was belohnet den Meister? Der zartankwortende Nuchklang
llnd der reine Reflex aus der begegnenden Brust."

Was für ein Leser in allen Künsten! Wo er nicht verstand, glaubte er sich
dem Werke nicht gewachsen. „Ahn' ich aber ein Berdienst daran, so such'
ich ihm beizukommen, und dann fehlk es nichk an den crfreulichsten Enk-
deckungen: an den Dingen werd' ich neue Eigenfchaften rmd an mir neuc
Fähigkeiten gewahr."

llnd derselbe Goekhe ist, wie er's von andcrn gefordert, ein liebender Autor:
fchöpfcrifch aus dem unbedingtcn Glanben ans Dasein, allem zugekan, was
eingeht in die Rkamen Gokt und Welt.

Dennoch — Bücher haben ihr Schicksal —, denuoch kam es zu der Span-
nung: Goethe und das Publikum. Wie oft hak er gerufen: Fch treke die
Kelter allein! Wir vergessen es so leichk, denn für uns khronk er im Pankheon.
Aber eo ist so gewesen: er stand im tiefsten Gegensah zu seinem Fahrhundert.
Er wußte, was er dcm Publikum fchuldig war: Emanzipation vom Publi-
kum. Er hielt fest an seiner Losung: nicmals bringen, was nian erwarker,
sondern was man selbst für recht nnd nühlich hälk. Nvch cinmal: recht und
nützlich!

So hat er seinen Weizen gebacken, auch wcnn die Leute nach Komnnßbrot
riefen. So ist er scinen Weg gegangcn, in der Treue zur Sache, in der Liebe
zum Menfchen — gegen das Publikum. Also sagk er: „Das Beste ist die tiefc
Stille, in der ich gegen die Welt lebe und Wachse und gewinne." Er, ein
Odysseus fast ohne Gefährken, hak der Sirene widerstanden. Er hak be-
standen in der alten Tragik: Dichker und Volk. Denn er wußke: gehk es um
große Dinge, um ein Werk, um cine Tat, nicht bloß um Bücher, so ist das
Zcrwürfnis mit der Zeit fast unausbleiblich, aber cs dauerk ja nur ein Dichter-
lebcn lang, nicht für ein Völkerlcben.

Freilich, nicht jeder Autor erkrägt es, dieses Schicksal, das Publikum heißt.
Kleist ertrug es nicht, daß die Welt nichk Schritt hielt mit ihm selbst. So
nannte er das Leben „ein Ding, das jeder wegwerfen möchte wie ein unver-
ftändiges Buch". Er selbst hak dieses Buch nicht mehr vcrstanden, weil ihn
die Zeit nicht verstand, und so hat er's weggefchleudert.

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