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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 8 (Maiheft 1929)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8886#0131

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ging vorbei, Leute kamcn, die sie Lrösten wollten, slanden ratlos vor ihrem re-
gungslosen Schmerzensmnttergcsicht, schüttelten das Haupk, als hofften sie
nichrs mehr für die Arrne, und machken sich ffockffille wieder davon. Die Ursula
merkte von alledem nichts. Sie blieb wie verschollen, ließ ihren Mann bitten,
sich doch zu fassen, ihre drei anderen Kinder um sie weinen, das ,l2ieh im Stalle
Vor Hunger brüllen und rührte sich nichk.

So krieb sie es bis in die Zeik hinein, in der der Meixner-Gokklieb von uubegreif-
lichen Wirbeln aus dem Heiligenhofe nach Querhoven gekrieben wurde. Der
gab durch sein Tollen den erffen Anffoß, daß die Schmerzbekäubung der armen
Ursula ekwas nachließ.

Die Leuke sagen, genau dreimal drei Wochen nach dem Offersonnabend, an dem
das Weißköpfchen von der alken Birke den Todesfchlaf zugesaust bekommen habe,
sei der verknüllte Meixner nach kagelangem Brüken im Hornwasserwalde wieder
johlend und die ganze Welk anplärrcnd durch die Wuhle gezogen. Er lärmke auf
der Skraßc vorüber, so daß nichk alles zu vcrffchen war. Aber so viel konnte man
doch hören, daß er die ganze Wuhle warnke, auf der Huk zu sein.

Das hob selbff die Ursula von ihrem Sitze auf und führke sie ans Fensier.
Gerade richtete Gokklieb sein Schreien nach dem Rükfchhause hin: „...Ratze-
kahl, alle seid ihr in der Wuhle verloren, sag' ich!" brüllte er. Alleiu, als dic
Ursula am Fenffer erfchien, todesblaß, aufgereckk, unbeweglich, crwürgte das
Gekobe in dem Goktlieb wie von cinem Griff. Er setzte sich auf einen Skraßen-
ffein und sah fchweigend der armen Mutter ins Gesichk. Dann griff er neben
sich auf den Weg, erwifchke einen Skein, fchleuderke ihn in den Skaub und
spuckte ihm nach.

Nach dieser Ermunkerung sprang er auf und fchrie in einer merkwürdig weiner-
lichen Ark: „Jawoll, Ursel, was ich dir sage, die Lenleinhexe hak dir auch dein
Kind, deiu Weißköppel, gcffohlcn. So wahr ich lebe, sprichk der Herr. Haha!
Rudirum verfluchk, rudirum verfluchk, jawoll geffohlen."

BeLrekeu laufchte Ursula dem Plärrsingen des Ilnglücklichen, das, immer fchwä-
cher klingend, nach Querhoven zu verfchwand. Daun kehrke sie auf ihren Platz
zurück, fchauke noch eine Weile zu Boden, schüktelke verwunderk den Kopf
und lächelke dann zum erffen Male seik dem Tode ihres Kindes.

Rkach diesem Begegnis fand sie sich langsam wieder in ihre Arbeik zurück.
Allein sie hatte eine sonderbare Ark zu gehen, ungefähr so wie nach dem Fall
durch die Speichen des Mühlrades, als bewegke sie sich nichk auf fester Erde,
sondern auf einem fchwankenden Skeg, der über einem Abgrund liegk. Dem
Zugreifen ihrer Hände ging eiu furchksames Taffen voraus, und sie redeke
mehr von drüben her, glcich einem Menfchen, dem, aus dem Schlafe gefchreckk,
die Traurnverfcheuchkheit wider Willen noch durch all sein Reden gespen>kert,
und wenn der guke Anselm Rütfch nichk immerfork um sie war, siel sie immer
wieder in das alke Sitzcn und Skarren zurück, in dem sie forkwährend halblauk
vor sich hinredeke: Bikken an ihr Weißköpfchen um Berzeihung, Vorwürfe
über ihrc Menfchenfurchk, Haß gcgen die Schwiegcrmutker und endlose Selbff-
anklagen, daß sie ihr liebes Kind in den Tod gekrieben habe, weil sie ihm das
Lebensbad der Wiedertaufe vorenkhalten.

Sie konnke das ganze Leben nur noch durch den Flor ihrer hoffuungslosen
Trauer sehen und erlag so mehr und mehr dem Schicksal ganz unkerhöhlker

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