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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,2.1929

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Heft 8 (Maiheft 1929)
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lität verbieten allzu törichte Experimente
— nicht ganz so unerfreulich. Barlach,
und besonders der eben dahingegangene
Wenck, Georg KoIbe mit einem schö-
nen großen Akt und Thorak, der schon
so manches Versprechen eingelöst hat, er-
höhen den Gesamteindruck der Ausstel-
lung bedeutend. DaS plastische Werk
scheint sich von der literarischen Theorie
instinktiv zu entfernen. Nicht der geringe-
ren oder größeren Naturnähe wegen, son-
dern weil die Mannigfaltigkeit der auf
der Leinwand dargestellten Dinge eineGe-
neration, die nur Extreme kennt: Ma-
terialismuö oder Utopie (oder beide
Scheußlichkeiten zusammen!), zum schrei-
enden Predigtton verleitet. —

Und dasselbe Publikum, das vor diesen
Bildern beifällig redet, in denen Objekte,
Material, Handwerk glei'chmäßig roh und
geschmacklos mißbraucht werden, mar-
schiert von hier auS in die Chinesische
Ausstellung, in der ein fernstehendes Volk
in all diesem das Höchste an Sorgfalt
und Geschmack ru reiaen hat. — —

WaltherUnus

Dichtung und religiösee Erlebnis

ein Buch wüßte ich, das mehr zur
rechten Zeit erschienen ist als Nikolaus
von Arseniews „Russische Literatur
der Neuzeit und Gegenwart" (Dio-
skuren-Verlag Mainz). Wenn, wie
Goethe einmal sagt, öas Übel öer Zeit
darin liegt, daß wir uns in abgeleiteten
Zwecksetzungen bewegen, und nicht auf
öie Grundfragen zurückzugehen wagen —
so ist das hier gewagt. Jst die Kunst der
feinste geistige Niederschlag einer Zeit,
die jedesmal auch unmittelbar „nach Gott
hin" ist — so kann man ihr gar nicht
tiefer gerecht werden, als wenn man von
dem Wesentlichen in allen Geistesströ-
mnngen ausgeht — und das ist das Re-
ligiöse. Bei Arseniew handelt es sich
um die Kunst des wohl religiösesten aller
moderner Dölker, des russischen, und
zwar um dessen eigentliche Kunst, die
Wortkunst. Sie deutet uns ein russischer
Mensch, und er deutet sie in unserer Spra-
che. Er will keineswegs unsere deutfchen
Darstellungen ersetzen, er bezieht sich sogar
vielfach aus sie, hesonders auf die maßge-
bende von Arthur Luther (Biographischeö
Jnstitut, Leipzig) — er will nur zeigcn,
wie das alleö aussieht, wenn es „von

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innen herauö von einem Russen gesehen
wird". Und da sieht eö — ich sage nicht:
anders — wohl aber ganz neu aus und
wunderbar lebendig. Ein Kunstwerk wird
ja nur scheinbar aus dem vollen Leben
herausgenommen: immer wieder fängt es
von neuem an und unaufhaltsam wirkt
eS weiter in dem Geistesstrom, von dem
es ausging und in den es eingeht.

Darf man vielleicht auch nicht sagen, die
religiöse Bewußtheit gebe den Maßstab
ab für die geistige Schöpfcrkraft, so trifft
das aber zweifellos zu für die Reli-
giositätals solche. Sie ist, wenn auch
alö noch so hcimlicher Jmpuls, überall
dort, wo Echtheit herrscht und wirkliches
Suchen, und dieses wird gestaltend durch
jene (auch bei einem Dichter des Bol-
schewismus wie Alexander Block). Wie
dem aber auch sei, jedenfalls bestehen
keine Scheinwerte vor dem wahrhaft reli-
giösen Blick — dazu ist das Künstlerische
viel zu nahe verwandt dem rein Geisti-
gen, vielleicht bloß seine „aktive" Form.
So erschaut, offenbart sich die große Lite-
ratur des russischen Dolkes als ein ein-
ziges Ringen der Schöpferischen in ihm
um die Seele ihres Volkes. Für den
Russen bedeutet aber sein Volk immer
und überall die Menschheit. Die Urver-
suchung dcs russifchen Menschen tritt er-
schütternd hervor, als Auflehnung gegen
Gott — wegen des Schicksals der Men-
schen. Gott wird angegriffen und schließ-
lich abgesetzt, weil er die Menschen lei-
den läßt — und der Leidende ist für den
Russen stets im Recht. Bei Dostojewski,
dem großen Wortführer des russischen
Volkes, kommt es so zu der radikalsten
Jnfragestellung des ChristentuinS. Jn-
des: der Kampf deö Menschen um das
Schicksal der Menschheit — braucht nicht
gegen Gott, er kann auch mit Gott ge-
führt werden — und hier stoßen wir auf
die letzten, schon ins Paradoxe überschla-
genden Tiefen rusfischer Gläubigkeit.
Ljesskows zornloser Greis Pambo bittet
sich die Hölle als ganz besondere Gnade
von Gott aus! „Nein, nein! Solche De-
mut wird auch der Satan nicht aushalten
können! Er wird sich an ihm die beiden
Händc müde schlagen, alle Krallen ab-
stumpfcn und wird dann selbst seine Ohn-
macht einsehen vor dem Schöpfer, der
eine solche Liebe schuf, und wird sich schä-
men vor ihm." Freilich, von dieser An-
griffsfront gegen den Höchsten unmittel-
bar erschaut, erfcheint der Kampf um das
 
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