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Kamenzin, Manuel; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Heidelberg [Mitarb.]; Universität Heidelberg [Mitarb.]
Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150-1349) — Mittelalter-Forschungen, Band 64: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62605#0403

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402

10. Zusammenschau: Historiographie als Quelle

den König umgebracht hatten: Auch das Gefolge des Königs, das ihn beschützen
sollte, konnte verantwortlich gemacht werden. Der Vorwurf, den Tod eines
Königs verursacht zu haben, wog schwer und hatte für die Beschuldigten
handfeste Konsequenzen. Die Opfer eines Todes durch Fremdeinwirkung hin-
gegen konnten in der historiographischen Darstellung aufgrund der Fokusver-
schiebung einem Urteil entgehen.
10.3. Die Referentialität von Historiographie
Die vorliegende Studie fragte nach der Referentialität von Historiographie,
indem eine vergleichende Untersuchung historiographischer Quellen unter
Abgleich mit weiteren schriftlichen Quellen und den Ergebnissen paläopatho-
logischer Gebeinsuntersuchungen angestellt wurde. Wenn wir die narrativen
Strukturen und Strategien innerhalb mittelalterlicher Chroniken als grundle-
gende Eigenschaften historiographischer Quellen anerkennen - was können
Historikerinnen und Historiker auf dieser Basis noch über die Vergangenheit
aussagen?
Bezüglich der Referentialiät auf Tatsächliche' Ereignisse und vor allem der
Details dieser Vorgänge muss im Rückblick auf die hier erarbeiteten Ergebnisse
festgehalten werden: Ein großes Ausmaß an Details in historiographischen
Schilderungen von Herrschertoden ist ein deutliches Indiz für narrative Aus-
gestaltung. Dies zeigt sich insbesondere bei Toden durch Fremdeinwirkung: Die
große Überlieferung und die vielen genannten Einzelheiten stellen keine
Grundlage für eine ,Rekonstruktion' der Abläufe dar. Die Anzahl an Wider-
sprüchen ist hierfür bei Weitem zu groß. Vielmehr wird deutlich, dass es sich um
zahlreiche, unterschiedliche Antworten auf die Fragen handelt, die diese Er-
eignisse bei den Zeitgenossen hervorriefen. Otto von Wittelsbach als belus-
tigender Schwertspieler ist keine Tatsachenschilderung einer ausgefeilten Taktik,
sondern eine von vielen Antworten verschiedener Chronisten auf die Frage, wie
es dem Mörder gelingen konnte, mit einem Schwert in die Nähe des Königs zu
kommen. Der Vergleich mit dem Mord an Albrecht L, aber auch mit den Toden
König Adolfs und König Wilhelms, lässt klar werden, dass diese Frage immer
wieder aufschien. Es konnte eine ganze Reihe solcher Fragen der Zeitgenossen
bei Toden durch Fremdeinwirkung herausgearbeitet werden.
Auch medizinisch anmutende Begründungen letaler Erkrankungen sind in
der Tendenz eher als narrative Ausgestaltung zu werten: Der Vergleich zeigt,
dass es sich bei Angaben zu Kalt-Warm-Wechseln oder missglückten Behand-
lungsversuchen gar nicht um akkurate Beschreibungen handeln kann - die
Chronisten konnten nicht über die Informationsgrundlage und die Expertise für
solche Angaben verfügen. Vielmehr suchten sie nach Möglichkeiten, die in
Quellen mit anderen Schreibabsichten dokumentierten negativ konnotierten
Todesursachen wie Durchfall narrativ zu entkräften. Durch das Ergänzen einer
natürlichen Ursache sollten die Anzeichen eines schlechten Todes umgedeutet
und eine negative Wertung des Verstorbenen verhindert werden. Wenn diese
Passagen nun aus der modernen Perspektive als Grundlage retrospektiver Dia-
 
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