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Kamenzin, Manuel; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Heidelberg [Mitarb.]; Universität Heidelberg [Mitarb.]
Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150-1349) — Mittelalter-Forschungen, Band 64: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.62605#0031

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30

3. Vorgehensweise

diesem Fall eine Diagnose der konkreten Todesursache auf Grundlage der his-
toriographischen Schilderungen. Ein solcher Zugriff ist aus zwei miteinander
zusammenhängenden Gründen heraus nicht möglich: Keines der Zeugnisse ist
nahe genug am Ereignis entstanden, um für eine solche Deutung verlässliche
Anhaltspunkte zu liefern. Im gesamten Untersuchungszeitraum ist nur eine
zeitgenössische Quelle überliefert, die suggeriert, ein Augenzeugenbericht von
Sterben und Tod eines Königs zu sein. Diese Quelle, die Narratio de morte Otto-
nis IV. imperatoris, ist dabei vollkommen durchdrungen vom Wunsch nach
Deutungshoheit über diesen Tod und bietet daher auch keine sichere Grundlage
für eine medizinische Diagnose.97 Bei den anderen hier untersuchten Todesfällen
ist der Weg, den eine Information vom Sterbebett bis zum teilweise hunderte
Kilometer entfernt schreibenden Chronisten zurücklegen musste, zu ungewiss,
um für eine solche Analyse Material zu liefern.98 Darüber hinaus lag es nach der
Arbeitshypothese nicht in der Absicht der Schreiber, Grundlage für eine Fern-
diagnose aus mehr als 800 Jahren Entfernung zu sein. Sie schufen keine medi-
zinischen Beschreibungen, sondern Deutungen, die sich aus ihrem persönlichen
Standpunkt zum Ereignis ergaben. Ein Zugriff, der auf diese Deutungen abzielt,
ist daher erfolgversprechender.99 Durch diese Konzentration auf gattungsspe-
zifische Eigenheiten mittelalterlicher Historiographie und den Abgleich mit den
weiteren verfügbaren Quellenzeugnissen soll die Rolle narrativer Strategien in
der chronikalischen Überlieferung herausgearbeitet werden. Darüber hinaus
wird die weitreichende Frage nach der historischen Referenzialität der über-
lieferten Quellen gestellt.100

3. Vorgehens weise
In einem ersten Schritt müssen die zu untersuchenden Quellen zusammenge-
stellt werden. Da es sich bei den Toden der römisch-deutschen Herrscher um
einen Aspekt der Reichsgeschichte handelt, bieten sich die Regesten der Regesta
Imperii an. Die entsprechenden Bände sind in den vergangenen 150 Jahren ent-
standen und daher in ihrem Inhalt teilweise von der Forschung bereits überholt.
Darüber hinaus hat sich auch das Verständnis des Regestenwerks gewandelt: In
den älteren Bänden wurde versucht, das Ereignis wie es ,wirklich gewesen ist'

97 Siehe hierzu Kapitel 6.4.

98 Der Weg und die Wandlungen von Informationen vom Ereignis zum Schreiber wurden zuletzt
unter den Schlagworten „Verformung durch Oralität" (Althoff, Geschichtsschreibung) und
„Schleier der Erinnerung" (Fried, Schleier) diskutiert. Eine solche Rückbesinnung auf die Ein-
zelüberlieferungen und ihren Informationsgehalt fordert auch Ian Mortimer aufgrund seiner
Beschäftigung mit dem Mord an Richard II.: Für jede Quelle müsse der „information stream"
(Mortimer, Objectivity, S. 30) zum geschilderten Ereignis nachgeprüft werden.

99 Eine solche Fragestellung wurde von Hans-Werner Goetz als „Vorstellungsgeschichte" be-
zeichnet, Goetz, Vorstellungsgeschichte. Genauer in Kapitel 1.

100 Siehe prägnant hierzu Goertz, Geschichte.
 
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