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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0049

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24

CYCNUS

bricht etliche 2arte Aefte und siehet Blut heraus tropsen. Au weh ! Schrieen
sie daraus, <verschone unser, si 'viel Aeße als du abreifess, so <viel Wunden bringt du
uns bey. Lebewohl, liebe Mutter, lebe wohl....... Und hiemit fchloss ihnen
die Rinde auch den Mund zu, dass sie nicht ein Wort weiter fprechen kon-
ten. Allein ihre Thronen ssößen noch immer sort: man liehet fie aus diesen
neuen Boumen heraus tropfen, an der Sonne harte werden und lieh in Ambra
verwandeln. Hierauf rollen diese koftbahre Korner in den Fluss Eridanus,
aus welchem man sie aussifchet, um Schmuck vor das Frauenzimmer daraus
zu versertigen.
Cycnus 2 ein Sohn des Sthenelceus, und Konig in Ligurien, ein Freund des
Phaeton nach dem Blute , noch mehr aber nach dem Gemuthe , hatte kaum das
Unglück feines Freundes vernommen , so verlies er fein Reich , um den Tod sei-
nes Freundes auf delTen Grabe zu beweinen. Er lies feine Trauer-Klagen an den
Usern des Fluffes und in den nahgelegenen Woldern erfchallen , biss auf einmahl
feine Stimme ganz leife wurde; an ftatt der Haare wuchsen ihm weise Federn,fein
Hals wurde lang , feine Finger oder Zehen wurden durch eine rothlichte Haut
aneinander gefüget, aus seinen Achfeln kamen Flügel heraus, fein Mund aber
verändert fich in einen platten und länglich runden Schnabelj mit einem Worte,er
wird zu einem Schwan. In diefem zuftande nun, sällt ihm noch immer der Blitz
des Jupiter ein , womit er feinen Freund erfchlagen hat, dahero er fich niemahls
mit feinen Fittichen nach dem Himmel zu fchwinget; und feinen beftondigen
Haß gegen das Feuer anzuzeigen , fuchet er nur immer dasjenige Element,
welches jenem am meiften zuwider ist und holt fich ftets in Seen und Teichen
auf.

ERKLÄRUNG DER FABEL.
In der Fabel vom Cycnus und den Heliaden sseckt gar kein Geheimnils: und
beyderfeits Verwandelung ift ohne zweifei nichts anders als eine poetifche Verzie-
rung 3. Die Schweftern des Phaeton waren vor Schmerzen auf dem Grabe ihres
Bruders tod liegen blieben , daher fchreiben die Poeten, fie woren 4 in Pappeln
verwandelt worden , ihre Thronen aber in Ambra. Nichts anders ift von der
Veränderung des Cycnus zu fagen : Die Urfache , warum man hat gefaget, dals
er
ANMERKUNGEN.

2. Cycnus.] Man bat auch sonft noch zwey andere des Nah-
mens Cycnus, einer davon ist, den Hercules erschlagen hat, wo-
von Hefiodus (a) eine weitleuftige Befchreibung des Kampfes
dieler zwey Helden gemachet. Der andere (£) war ein Sohn des
Mars , and verlohr fein Leben bey der Belagerung von Troja,
dahin er mit zwölf Schiffen gekommen war (0.
3. Als eine poetische Verzierung.] Lucianus in fei-
nem Gespräche vom Ambra oder von dem Schwane : Treibt sei-
nen Spott sehr artig mit diefer Fabel. ,, Als ich , ff rieht er, in
meiner Jugend horete , dafs an dem Flus Eridanus Baume
" ftunden, davon Ambra herab lief, welcher nichts anders fey,
" als Thränen der Schweftern des Phaetons, die in Pappeln ver-
» wandelt worden , und ihr Unglück noch immer fort bewein-
,, ten , fo bildete ich mir ein ?/ dafs wenn ich ungefähr einmahl
da vorbey kommen folte, dursste ich nur meinen Mantel aus-
„ breiten, diefe koftbahren Tropfen darauf zu samlen. Als ich
3, aber nach der Zeit aus diesem Fluffe fuhr , und keinen einzi-
3j gen solchen Baum am Ufer ftehen sahe , noch den Nahmen
jj Phaeton einmahl nennen horete , sb sragte ich die SchirHeute,
35 wenn wir doch einmahl an diele Oerter kommen wurden3 die
3> bey den Poeten so berühmt find, da sie denn über meine Un-
33 wiflenheit hertzlich lachten, und sich nicht genug verwundern
» Jc5"ten 3 dafs es Leute gäbe , welche dergleichen Lugen so
3, kühne ausfprengen konten. Sie sezten hinzu , dafs wenn sol-
„ che Baume in ihrem Lande ftunden , von denen fo was kost-

3, bahres abssosTe, so wolten sie sich nicht mit rudernJbemuhen,
3, sondern in kurzer Zeit sehr reich werden. Ich fchamte mich
3, gewaltig , dafs ich mich die Poeten so hatte zum Narren ma-
„ chen laden, und bedaurete diefe Sachen, als ob ich fie wurck-
„ lieh gehabt und wieder verlohren hätte. Ich meynte auch, ich
„ wurde auf diefem Flufse Schwanen singen hören, weil ich ge-
„ höret hatte ?/ dafs die Gefeilen des Apollo um diefe Genend
„ in fokhe Vogel verwandelt worden , welche zum beweifs ih-
„ rer ehemahligen Kunft , noch immer einen vortresiiehen Ge-
„ fang hätten. Allein es traf diefes fo wenig ein als jenes, und
3, als ich mich bey meinen Schiffern darnach auch erkundigte, fo
3, fagten fie mir , dafs fich zwar hier und dar auf dem Eridanus
., Schwanen aufhielten , ihr Gefang aber, oder vielmehr ihr Ge-
„ schrey, wäre nichts angenehmer , als der andern Wafler-Vo-
„ gel ihres.
4-„In Pappeln.] Virgilius hingegen faget in seiner 6. Ecl.,
sie waren in Erlenbäume verwandelt worden:
Tum Vhdetontiadas mufco circundat amara
Corticis, atque sile proceras erigit ahm.
Alleine er widerspricht sich selbft 1. 10. j5£neid. da er lägt
sie wären zu Pappeln geworden:
Populeas inter srondes umbramaue sirorum.

(*) In Smu. (i) ApM«. J. 3. W %'». c 97.
 
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