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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0092
54 O E N E U S.
Wälder, wolte auch Theil an der Ehre nehmen , so von dieser gefahrlichen Un-
ternehmung zu erwarten war. Ihre ausbundige Schönheit und das Heldenmäsige
Ansehen, welches ihr der Jagd-Aufputz machte , vereinigten in ihr alle Annehm-
lichkeiten beyder Geschlechter. Meleager 4 kriegte sie zu sehen und verliebte sich
in sie. „Glucklich ist der, rufte er aus, welchen diese Person zu ihrem Ehegemahl
„ erwehlen wird!" Er hätte gerne noch mehr gesprochen, wenn er Zeit gehabt
und sich nicht geschämet hätte, daselbst von Liebes-Sachen zu sprechen, wo von
kämpfen gehandelt wurde. Der Wald , in welchen sich diese jungen Streiter ver-
sammelten, war niemahls gehauen worden, daher er sehr dicke war : der Ein-
gang aber gieng gleich aus und führte einen unvermerkt in ein kleines Thal. So
bald sie daselbst angekommen waren, beschäftigten sich einige mit Aufspannung
der Tucher , andere kuppelten die Hunde los , viele giengen der Bestie auf der
Spur oder Führte nach : iedermann aber wunschte es zu ertappen und machte
sich gar nichts aus der dabey zu befürchtenden Gefahr. Das Regen-Waiser, wel-
ches in der Tiefe des Thaies zusammen gelaufen war, hatte daselbst einen morasti-
gen Pfui gemachet, der mit Weiden-Rohr und schilf umgeben war, worinne die
wilde Sau ihr Lager hatte. Als sie nun den Lerm des Volks horete, brach sie her-
aus als ein Blitz , der die Wolken zerreiset, und schmiss alle Bäume übern Hau-
fen, die ihr in Wege stunden. Da sie die Jäger sahen ankommen , machten sie
ein Jagdgeschrey und hielten ihr den Spies vor; allein es läst sich durch nichts auf-
halten und hauet so um sich herum, dass ihm kein Hund ankommen kan. Vie-
le von diesen jungen Helden, nachdem sie ihre Pfeile nach diesem Schweine ohne
Nutzen verschosten und verworfen hatten , waren schon von der rasenden Bestie
gefährlich verwundet worden , da Atalanta solches mit ihren Gewehre recht un-
ters Ohre traf. Meleager war über diesen glücklichen Streich erfreuter als Atalan-
ta selbst; er zeigete seinen Mit-Jägern das Blut , welches aus der Wunde abssoss,
und sprach öffentlich aus, dass die Prinzessin bey dieser Jagd den Preiss allein da-
von getragen. Die Gefährten des Meleager schämten sich, dass eine Weibsperson
mehr können solte, als wie sie, daher sie einander mit grosen Geschrey zu kämp-
fen antrieben. Alleine sie schossen und stachen mit solcher Unordnung, dass ei-
ner dem andern nur hinderlich war. Meleager solte der Sau den rechten Fang
geben. Sein erster Wurf war vergebens, allein das zweyte Mahl traf er das
Schwein recht auf den Buckel: und da die Bestie hierauf mit verdoppelter Wuth
und unter bestandigen Ausstosen {eines mit Blut vermischten Schaumes sich viel-
mahl nach einander herum drehete , um sich den Wursspies, der in der Wunde
war stecken blieben , auszuziehen , so durchrannte es Meleager vollends mit sei-
nem Sau-Spiele.
ERKLÄRUNG DER FABEL.
Diese Calydonische Schweins-Jagd s ist von so viel Geschicht-Schreibern erzeh-
let6 worden, dass man sie nicht schlechter dings unter die Fabein setzen kan. Die
Rache der Diana aber ist ein Umstand, womit die Poeten diese Geschichte nur ha-
ben verzieren wollen, dieweil etwa auch der Konig Oeneus die Jagd nicht liebete,
sondern einig und allein auf den Ackerbau hielt, und daher auch nur denjenigen
Gottern opferte, denen er sich wegen der Fruchtbarkeit seines Landes danckschul-
dig erachtete.
.ANMERKUNGEN.
4. Meleager.] Er wurde in die Atalanta verliebt, wie wohl verstanderi werde , wieder welchen die benachbarten Edelleute
er schon eine Gemahlin hatte , nemlich die Cleopatra beygenah- aufgeboten worden.
met Alcyone eine Tochter des Idas und der MarpeiTa. Vid. Homer- 6. Erzehlet worden. ") Man lese nach unter andern den
Uiad. Lib. 9. Diodorut aus Sicilien , Lib. IV. den Pausanias , in Arcad. den Ho~
5. Schweins-Jagd.] Es giebt Gelehrte, welche dafür halten, merus, Iliad. Lib. IX. Die Erzehlung dieses Poeten stehet in den
dass unter dem wilden Schweine ein berüchtigter Straten-Rauber Anmerkungen der folgenden Abhandlung.
XXIII. Ml>
*
Wälder, wolte auch Theil an der Ehre nehmen , so von dieser gefahrlichen Un-
ternehmung zu erwarten war. Ihre ausbundige Schönheit und das Heldenmäsige
Ansehen, welches ihr der Jagd-Aufputz machte , vereinigten in ihr alle Annehm-
lichkeiten beyder Geschlechter. Meleager 4 kriegte sie zu sehen und verliebte sich
in sie. „Glucklich ist der, rufte er aus, welchen diese Person zu ihrem Ehegemahl
„ erwehlen wird!" Er hätte gerne noch mehr gesprochen, wenn er Zeit gehabt
und sich nicht geschämet hätte, daselbst von Liebes-Sachen zu sprechen, wo von
kämpfen gehandelt wurde. Der Wald , in welchen sich diese jungen Streiter ver-
sammelten, war niemahls gehauen worden, daher er sehr dicke war : der Ein-
gang aber gieng gleich aus und führte einen unvermerkt in ein kleines Thal. So
bald sie daselbst angekommen waren, beschäftigten sich einige mit Aufspannung
der Tucher , andere kuppelten die Hunde los , viele giengen der Bestie auf der
Spur oder Führte nach : iedermann aber wunschte es zu ertappen und machte
sich gar nichts aus der dabey zu befürchtenden Gefahr. Das Regen-Waiser, wel-
ches in der Tiefe des Thaies zusammen gelaufen war, hatte daselbst einen morasti-
gen Pfui gemachet, der mit Weiden-Rohr und schilf umgeben war, worinne die
wilde Sau ihr Lager hatte. Als sie nun den Lerm des Volks horete, brach sie her-
aus als ein Blitz , der die Wolken zerreiset, und schmiss alle Bäume übern Hau-
fen, die ihr in Wege stunden. Da sie die Jäger sahen ankommen , machten sie
ein Jagdgeschrey und hielten ihr den Spies vor; allein es läst sich durch nichts auf-
halten und hauet so um sich herum, dass ihm kein Hund ankommen kan. Vie-
le von diesen jungen Helden, nachdem sie ihre Pfeile nach diesem Schweine ohne
Nutzen verschosten und verworfen hatten , waren schon von der rasenden Bestie
gefährlich verwundet worden , da Atalanta solches mit ihren Gewehre recht un-
ters Ohre traf. Meleager war über diesen glücklichen Streich erfreuter als Atalan-
ta selbst; er zeigete seinen Mit-Jägern das Blut , welches aus der Wunde abssoss,
und sprach öffentlich aus, dass die Prinzessin bey dieser Jagd den Preiss allein da-
von getragen. Die Gefährten des Meleager schämten sich, dass eine Weibsperson
mehr können solte, als wie sie, daher sie einander mit grosen Geschrey zu kämp-
fen antrieben. Alleine sie schossen und stachen mit solcher Unordnung, dass ei-
ner dem andern nur hinderlich war. Meleager solte der Sau den rechten Fang
geben. Sein erster Wurf war vergebens, allein das zweyte Mahl traf er das
Schwein recht auf den Buckel: und da die Bestie hierauf mit verdoppelter Wuth
und unter bestandigen Ausstosen {eines mit Blut vermischten Schaumes sich viel-
mahl nach einander herum drehete , um sich den Wursspies, der in der Wunde
war stecken blieben , auszuziehen , so durchrannte es Meleager vollends mit sei-
nem Sau-Spiele.
ERKLÄRUNG DER FABEL.
Diese Calydonische Schweins-Jagd s ist von so viel Geschicht-Schreibern erzeh-
let6 worden, dass man sie nicht schlechter dings unter die Fabein setzen kan. Die
Rache der Diana aber ist ein Umstand, womit die Poeten diese Geschichte nur ha-
ben verzieren wollen, dieweil etwa auch der Konig Oeneus die Jagd nicht liebete,
sondern einig und allein auf den Ackerbau hielt, und daher auch nur denjenigen
Gottern opferte, denen er sich wegen der Fruchtbarkeit seines Landes danckschul-
dig erachtete.
.ANMERKUNGEN.
4. Meleager.] Er wurde in die Atalanta verliebt, wie wohl verstanderi werde , wieder welchen die benachbarten Edelleute
er schon eine Gemahlin hatte , nemlich die Cleopatra beygenah- aufgeboten worden.
met Alcyone eine Tochter des Idas und der MarpeiTa. Vid. Homer- 6. Erzehlet worden. ") Man lese nach unter andern den
Uiad. Lib. 9. Diodorut aus Sicilien , Lib. IV. den Pausanias , in Arcad. den Ho~
5. Schweins-Jagd.] Es giebt Gelehrte, welche dafür halten, merus, Iliad. Lib. IX. Die Erzehlung dieses Poeten stehet in den
dass unter dem wilden Schweine ein berüchtigter Straten-Rauber Anmerkungen der folgenden Abhandlung.
XXIII. Ml>
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