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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0205

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PENELOPE. 139
„ nun meine Witte, und wartet, bifs ich diejes neuangefangene Gewebe zjtm Ende
„ gebracht habe, darnach will ich auf meine Verheyrathung denken, ich möchte fonß
„ diefe Arbeit unvollbracht muffen liegen lasfen. Ich mache folche auf das Begrabnifs
„ des Laertes, meines Schwiegervaters, wenn ihn der unerbittliche Tod einmahl ab-*
„ fchlachten wird i damit keine Frau in Griechenland mir vorzuwerfen habe , dafs
„ ich fo nachläjfg gewefen und einen fo begüterten und werthen Manne nicht ein
Leichen-Tuch mit meinen Händen gewürket. So sprach sie und wir liesen uns
„ auch alle so was weiss machen. Des Tages über arbeitete sie mit vielen Fleiss:
„ aber so bald der Abend kam und die Kerzen angebrannt worden waren, mach-
„ te sie das alles wieder auf, 4 was sie bey Tage gewebet hatte. Diese Arglist
„ ist uns drey ganzer Jahre verborgen geblieben: als aber das vierte eintrat und
„ schon ziemlich zum Ende gelaufen war, so entdeckte uns eine von ihren Kam-
>, mer-Frauen, welche um alles wuste, diesen geheimen Anschlag; worauf wir
„ sie selbst drüber angetrosfen haben , dass sie diese herrliche Arbeit wieder auf-
„ trennete , und sie endlich genothiget, dass sie solche durchaus fertig machen
„ mussen. Und dieses ist die Antwort, welche alle ihre Freyer dir durch mich
„ sagen lassen, damit weder du noch ein einziger Grieche der Sache unwissend
„ bleiben möge. Schicke nun die Penelope wieder zu ihrem Vater, den Icarius,
und suche sie zu bereden, dass sie sich vor dem geneigt erkläre, den sie sich er-
„ wehlet und am liebenswürdigsten findet. Soke sie uns noch langer wollen bey
3, der Nase herum führen, und noch lange seufzen lassen, biss dass sie alles zu
v Werke richten kan, was ihr Minerva beygebracht, als welche ihr so vielerley
„ künstliche Arbeit zu machen gelehret, ihren Geist mit solcher Weissheit und Tu-
gend ausgeschmückt und ihren Verstand mit solchen klugen Streichen ausgeru-
„ stet, desgleichen sich keine von den allergrosten Frauen iemahls hat rühmen
„ können; solte sie das thun, sage ich, so würde sie etwas vornehmen, welches
„ dir sehr schadlich seyn würde: denn so lange sie auf ihrem Kopfe bleibet, wird
„ es immer über deine Gütter hergehen. Nun ists zwar wahr, dass sie mit dieser
„ Ausführug viel Ehre erjagen wird , alleine dich wird sie dadurch um alles
„ bringen ', denn das ist aus gemacht > dass wir alle das unserige werden ssehen
„ und liegen lassen und nicht einen Schritt aus der Stelle gehen , biss Penelope
„ sich an demjenigen verbindet, der ihr am besten anstehet.
Diese Drohworte waren auch nicht in den Wind gethan : denn Antinous und
seine Mitbuhler horten nicht auf, der unglücklichen Penelope zu zuietzen. Al-
leine nachdem sie zwanzig Jahre gelitten hatte , wurde endlich ihre Treue durch
die glückliche Wiederkunst ihres Ehegemahls erfreuet, und die ihr angechane
Schmach durch den Tod ihrer unwürdigen Freyer gerochen.
ERKLÄRUNG DER FABEL.
Man mag die Arbeit der Penelope vor etwas würklich geschehenes oder vor
ein Gedichte halten, so ist die Beschreibung davon so natürlich, dass sie keiner Er-
klärung bedarf. Unterdessen wollen einige diesen Fund vor allzu grob halten,
als dass die Liebhaber dieser Fürstin so drey biss vier Jahre damit hätten verblendet
werden können, und glauben, dass Homerus durch dieses Gewebe nichts anders
als die krummen Sprünge und Notl>Lügen anzeigen wolle, womit Penelope ihren
ungestummen Zumuthungen auszuweichen gesuchet.
i
ANMERKUNGEN.

4. Alles wieder aus.] Der Erfinder des hiebey besindli-
chen kupferstiches hatt einen ganz artigen Einfall gehabt, da er
den Hochzeit-Gott , Hymen , vorstellet , welcher felbft bey
nlchüichcr Weile das, was Penelope den Tag über gewebec,

wieder austrennet. Gleicher-gestalt ist es auch in alten Zeiten
gefchehen , dafs mancher Scribent die alten Fabeln mit diefen
oder jenen neuen und wohlausgefundenen Umftande vermeh-
ret.
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