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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0227

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156

LVI.

TANTALUS.
-.---;- Tibi* Tantak) nullte
Deprenduntur aqune\ quceque tmminet* effugit arbor.
Ovid. Met. 4. vs. 457.
Antalus1, von einem brennenden Durste ganz abgemattet, wird
in einen Fisch-Teich geworfen, dafs ihm das Wafter, To viel heller als
ein Cryftal ift , bifs ans Kien gehet, ohne dass er einen einzigen
Tropfen davon erlangen kan, seine Zunge zu kühlen: denn fo oft als
er fich blicket um zu trinken, fo verfchwindet alles Wafler um
ihn herum und liehet er vor seinen Fiifen nichts als trockenen Sand, welchen
eine seindseelige Gottheit aller NäiTe beraubet. Es ift solches aber nur die
Helste feiner Qyaal. Denn der Hunger plagt ihn eben so sehr, und um ihn
herum ftchen fchone Bäume mit den angenehmften Fruchten, welche ihm über
feinen Kopf herüber hangen. Alleine fo bald hebt dieser ungluckseelige den Arm
nicht auf, um einige abzubrechen, oder ein neidifcher Wind sühret he biss an die
Wolken in die Hohe.
Alfo befchreibet Homerus 1 die Pein des Tantalus. Virgilius3 aber, ob er ihn
gleich nicht nennet, hat doch sonder allen Zweifel mit solgenden Reden auf ihn
gezielet. „ Er ruhet aus einen koftbahren Lehnftuhl, in einem herrlich ausge-
„ zierten Speife-Saal und mus vor Hunger fchmachten , da er doch an einer recht
» Königlichen und in groftem Uberflufte wohlbefezten Tafel fitzet. Eine ihm zur
„ Seite stehende Furie verhindert ihn, nach den Speifen zu greifen, sie drohet ihm
„ mit ihrer Fackel und erfchrecket ihn mit ihrer entfetzlichen Stimme.
So unterfchieden nun auch die Erzehlungen diefer beyden Poeten find, so wird
man doch in beyden einerley Art von Marter gewahr werden. Alleine darüber
find die Fabel-Gelehrten nicht recht einig, worinne eigentlich das Verbrechen des
Tantalus beftanden habe. Einige ftofen ihn um deswillen in die Holle, dieweil
er den Gottern Menfchen geopsert. Andere fprechen, er fey zu der Gotter-Tafel
gezogen worden und Jupiter habe ihm seine Geheimnifte vertrauet, welche er un-
bedachtfamer Weise ausgeplaudert: welches fo zu verftehen, dafs er die geheimen
Umftände der Verehrung dieses Gottes, deften Hoher Priefter er gewesen, ge- *
mein
ANMERKUNGEN.
I. Tantalus.] Ein Sohn des Tmolus Königs in Lydien; sey aber, wie ihm wolle, Tantalus bekam einen Krieg mit dem
©der des Jupiter und der Pluto oder Plyto: denn die Scribenten Tros, dess'en Ursache einige diefem Menschen-Raub , andere ei-
treffen feiner Geburth halber nicht uberein. Nach einiger Mey- ner Grenz-Streitigkeit zufchreiben.
nung foll er ein Lydier gewefen feyn j nach anderer ihrer aber 2- Homerus.] Odyff. Lib, XI.
ein Paphlagonier. Sonft regierte diefer Furft zu Sipylus einer 3- Virgilius ob er ihn gleich &c] Virgilius (a) nen-
nahe an Phrygien gelegenen Stadt. Als Tros , Konig zu Troja net ihn nicht alleine nicht, fondern es hat fo gar das Ansehen,
feinen Sohn Ganymedes nach Lydien fchickte , um in einem als ob er fo wohl die M?rter, wovon hier die Rede ist, von dem
Tempel des Jupiter ein Opfer Zu bringen, lies ihn Tantalus weg- Ixion und Perithous erzehle, wie auch die unaufhörliche Furcht,
nehmen , daher die Fabel, als ob Ganymedes von dem Jupiter durch den Fall eines Felfens, der ihm über den Kopf hanget zer-
geraubet worden , entstanden ift. Man erzehlet dabey , dass er qvetfehet zu werden: welche Strafe Pindarus (b) auch dem Tan-
einen Mundfchenken der Gotter abgegeben, vielleicht weil Tan- talus zuleget. Inzwifchen da doch alle Fabel-Lehrer diefe zwey
talus den Ganymedes zu dieser Bedienung gebrauchet. Wie- Arten von Pein dem Tantalus zuordnen , fo haben die gelehrtef-
wohl einige dafür halten, dafs er ihn nach Creta an einen Furften ten Ausleger dasür gehalten , daß Virgilius bey diefer Stelle ihn
gefandt, welcher den Nahmen Jupiter angenommen hatte. Dem gleichsalls in den Gedanken gehabt.
(«) Ancid. 1. tf. W Olymp. Ode I.
 
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