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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0046

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND KUNST.

Anblick für das Auge nicht etwas haben, was
nicht um seiner selbst willen genossen und an-
gesehen werden will, sondern nur eine An-
weisung gibt für den Tastsinn, den Bewegungs-
sinn, früher ausgeübte Bewegungen und Be-
rührungen dieses Gegenstandes in der Vor-
stellung zu reproduzieren. Denn wenn uns ein
dargestellter Gegenstand so recht körperlich,
recht greifbar und plastisch, in seiner Form
klar und deutlich erscheint, so bedeutet das,
daß wir uns bei diesem Anblick erinnern, wie
einstmals die Hand, der Arm sich bewegten,
sich hoben und senkten, um das Oben und
Unten der Figur kennen zu lernen, sich vor-
schoben oder zurückzogen, um Vertiefungen und
Schwellungen zu fühlen, und so in mannigfaltig-
sten Hebungen und Senkungen und Biegungen
über die feste Oberfläche des Körpers und an
seinen Konturen entlang hinglitten. Weil dabei
das Auge der tastenden Hand beständig folgte,
so trat nach und nach jeder Teil des Gegen-
standes in die Region, wo das Auge am deut-
lichsten sieht, so daß umgekehrt auch der deut-
liche Anblick, die genaue Ausführung die Er-
innerung an die tastende Hand wachzurufen
imstande ist. Wenn aber heute ein solcher
Anblick aus der Mode ist, so ist es nicht, weil
die sogenannte harte Malerei uns stößt, die
weiche uns angenehm kitzelt, sondern vielmehr,
weil wir nicht erinnert werden wollen, nicht
nachdenken wollen, nicht im Anblick Andeu-
tungen auf frühere Erlebnisse, auf einst Da-
gewesenes haben wollen. Wir verschmähen
die Vergangenheit im Bilde, und begnügen uns
mit der reinen gegenwärtigen Erscheinung, der
bloßen Impression auf das Auge. Es ist zugleich
ein passiveres Aufnehmen, mehr Hingabe in
dieser Art zu sehen, die nicht die willentlichere
Form des Abfassens, des handgreiflichen Be-
arbeitens des Gegenstandes — wenigstens in
der Erinnerung — in den Inhalt hineinnimmt.

Die andere Seite dieser Abneigung gegen die
peinliche und sorgfältige Durchführung eines
Gegenstandes sagt uns dasselbe. Diese Dar-
stellung kommt nur zu ihrem Recht, wenn das
Auge nicht ruht, sondern sich allen Teilen in
einem Nacheinander zuwendet. Das erfordert
Zeit, etwas Langwieriges, und um das Objekt
wirklich zu erfassen, ist es nötig, daß man nicht
nur von einer Stelle zur andern gelangt, sondern
daß man von der ersten noch weiß, wenn man
zur zweiten gelangt ist und zur dritten und
weiter, damit man, sie aneinanderknüpfend, sie
aufeinander beziehend, überhaupt zu der Auf-
fassung einer Gestalt, eines charakteristischen
Ganzen gelangt. Sonst würde man vielleicht
jede Einzelheit erkennen und verstehen, aber
nicht, daß sie in ihrer Anordnung und Anzahl
ein bestimmtes wiederzuerkennendes Individuum
darstellen. Dieses Zusammenfassen verlangt
also, daß man ein lange Zeit aushaltendes Ge-

dächtnis hat, und beständig auf das Vorherige
Rücksicht nimmt. Das ist aber etwas, was dem
Impressionismus zuwider ist. Er hat keine
Lust zum Behalten und Zurücksehen, auch
nicht immer die Fähigkeit dazu und nicht
immer Zeit.

Das läßt uns die Formel „ein Ausschnitt aus
der Natur“ verstehen, als des zufällig Gegebenen,
des Unangeknüpften, mit dem sich der Impres-
sionist begnügt, ohne nach den Antezedenzien
und Konsequenzen einer solchen Erscheinung,
ohne nach ihren Zusammenhängen zu fragen
und sich umzusehen. Und es erklärt die Ab-
neigung gegen alle Form, die linear rhythmisch
geordnet auftritt. Denn lineares Ornament ist
auch nichts weiter, als ein zeitlicher Verlauf
optischer Erscheinungen, in dem jedes neue
Bild mit den vorigen zusammenhängt und in
der Wiederkehr gewisser Motive und Ver-
schlingungen eine Regel durchklingen läßt. Es
erfordert ein intelligentes Auge, die Fäden aus-
einanderzuhalten, was zu diesem, was zu jenem
Strang der Verflechtung gehört, Aufmerksamkeit
und Gedächtnis, diese Wiederkehr des Gleichen,
das Rhythmische zu empfinden. Dem Impres-
sionismus tut solches Denken weh, und wir
können wahrnehmen, wie unsere Umgebung,
unsere Gläser mit ganz anderen Reizen uns
erfreuen, als mit jenem linearen Flechtwerk,
jenen Verschlingungen, die zu entwirren den Reiz
geduldigerer Zeiten ausmachte. Das moderne
Ornament ist Flächenornament und hat sich
vermählt mit dem, was überhaupt den Ton an-
gibt in dem Schmuck, der uns umgibt, mit
der Farbe. Sehen wir die Tiffany-, die Galle-
Gläser an oder japanische Töpfereien, so ist es
immer die eigentümliche Färbung, das Schim-
mernde und Durchschimmernde, und die Bunt-
heit einer zufällig regellos über die Fläche ge-
laufenen Glasur, die uns erfreut.

Denn es ist beinahe selbstverständlich, daß
bei der Abneigung gegen alles Bindende, ge-
dächtnismäßig Berechnende und willentlich Be-
stimmende — Wollen heißt nämlich, einem
gegenwärtigen Eindruck unter der Erinnerung
eines früheren begegnen — diejenigen Augen-
erlebnisse in den Vordergrund gerückt werden,
die als ein Zufall oder eine Überraschung, als
etwas bloß Gegebenes vom Auge geduldet oder
erlitten werden — Farbe und Licht. Beide aber
stehen auf jedem Programm des Impressionismus
obenan. Das Bezeichnendste für diese Art, die
Erscheinungen zu werten, ist entschieden die
moderne Wiederentdeckung der Farbigkeit der
Schatten, daß also das, was früher die Aufgabe
hatte, die plastische und räumliche Welt zu
klären, die Erinnerungen unserer körperlichen
Erlebnisse in bestimmte Bahnen zu lenken,
jetzt zunächst farbig sein muß, das Auge er-
freuend, an sich interessant. Wenn wir schließ-
lich als letzte Konsequenz des Impressionismus

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