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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0031

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OM RHEIN ZUR RHONE.

Von BENNO RÜTTENAUER.

Eigentlich müßte ich schreiben: Vom Rhein
zum Rhone. So scheint es neuerdings Sprach-
gebrauch zu werden. Jahrhundertelang haben
die Deutschen in krasser Unwissenheit, einfach
nach dem eingebornen sprachlichen Gefühl, „die
Rhone“ gesagt; nun aber haben die Gelehrten
herausgefunden, daß das Wort sowohl im La-
teinischen wie im Französischen ein Maskulinum
ist und daß es also „der Rhone“ heißen muß.
Sie haben etwas lange zu dieser Entdeckung ge-
braucht. Die deutsche Gelehrsamkeit geht lang-
sam, aber sicher. Als wir unser neues Münz-
system einführten, kurz nach der furchtbaren
Niederlage Frankreichs, da schwankte die fran-
zösische Sprache nicht einen Augenblick, wie
unsere Mark französisch auszudrücken sei, und
keinem Gelehrten ist es eingefallen, das Sprach-
gefühl des Volkes korrigieren und irre machen
zu wollen. Der Franzose fragt nicht bei den
Deutschen an, was für ein Genus sie einem
Worte geben; er fragt allein sein Sprachgefühl.
Er sagt le marc; so kam es ihm in den Mund,
und das läßt er sich von niemand korrigieren,
er hält sein sprachliches Gefühl für ebenso
souverän wie sicher. Das ist auch ein Unter-
schied zwischen deutsch und französisch,
zwischen Rhein und Rhone.

* *

*

Und also stand ich wieder einmal auf dem
ausgebrannten und abgebrannten vulkanischen
Felsen überm grünen Rhein und über den
Dächern der armseligen Häuschen, die wie
graue Schwalbennester an den schwarzen Basalt
geklebt sind, — auf dem öden weiten Platz,
wo das Gras wächst zwischen dem Pflaster von
spitzen Rheinkieseln, wo, am steilen Rand des
Felsen, in schweren Massen der Münster auf-
ragt, wie aus dem lebendigen Stein ausgehauen,
gleich einer festen gewaltigen Burg, die — wie
es in der Tat der Fall war — den Stürmen und
Verheerungen von Jahrtausenden getrotzt hat.
Ich stand wieder einmal auf dem hohen Münster-
platz von Alt-Breisach.

St. Stephan heißt der Münster. Die Kirchen
dieser Widmung sind immer die ältesten. Dem
ersten Blutzeugen des Christentums wurden auch
die ersten Kirchen geweiht. Die berühmteste
ist der Stephansdom in Wien. In Freising heißt
der Dom Weihenstephan. Das Wort ist zugleich
ein interessantes altes Sprachdenkmal, zu dem
es nur noch eine einzige Parallele gibt, das
Wort „Weihenacht“. Was aber die Berliner
bei dem Wort denken mögen, wenn sie in den
Weihenstephan zum Bier gehen? Wahrschein-
lich nichts. Jedenfalls nicht an den armen
(kirchlichen) Gemeindediener zu Jerusalem, dem
die ältesten Heiligtümer der Christenheit geweiht

sind und von dem wahrscheinlich niemand
etwas wüßte, wenn nicht fanatische Gesetzes-
eiferer, seine Brüder und Landsleute, ihn so mit
Steinen beworfen hätten, daß er tot liegen blieb,
wobei der größte Heilige des Protestantismus
den Steinwerfern die Kleider gehütet hat, näm-
lich ein gewisser junger Student der ersten
Pharisäerschule zu Jerusalem namens Saul oder
Saulus, der sich später Paulus nannte. Nebenbei
bemerkt: Saulus zum Paulus, das ist sprich-
wörtlich geworden. Paulus ist der Architypus
aller Bekehrten, und schon bei diesem Urtypus
kann man wahrnehmen, wenn man etwas näher
hinsieht, um was es sich bei Bekehrung eigent-
lich handelt: nämlich nicht sowohl um Änderung
des Subjekts als einfach des Objekts . . .

Aber das ist ein närrischer Gedanke vor so
einem altehrwürdigen heiligen Münster wie dem
St. Stephan zu Breisach im Breisgau. In der
Eigenschaft des Altehrwürdigen und Heiligen —
und Historischen ist aber auch so ziemlich das
ganze Verdienst des barbarischen Bauwerks
inbegriffen. Ja, es ist eine barbarische Architek-
tur. Alle romanischen Denkmäler in Deutsch-
land — die Lombardei mit inbegriffen — bringen
mehr oder weniger den finsteren Geist nordischer
Barbaren zum Ausdruck, und wenn man heute,
mitten in einer modernen Stadt, solche finsteren
Ungeheuer kopiert, wie das z. B. jetzt in München
zweimal mit bewunderungswürdiger Treue ge-
schehen ist, so ist das, ich kann mir nicht
helfen, und Sankt Benno, mein Patron, dem
eine dieser Kopien geweiht ist, möge mir die
Sünde vergeben — so ist das nur eine neue
Barbarei. Was soll so ein steinernes Gespenst
des Vormittelalters im grellen Licht der Elek-
trizität und „sozialdemokratischen“ Aufklärung,
im Zeitalter des Eisens, dieses gewaltigen neuen
Herrschers, vor dem sogar das königliche Gold
platt am Boden liegt. Alles Unechte ist ein
Greuel, und nun erst unechte Gespenster.

Romanische Architektur ist — nicht eine
Contradictio, aber ein Non sens in adjecto. Sogar
das Wort „gotisch“, obgleich von der verachten-
den Ignoranz gemünzt, hat mehr Sinn. Deutsche
oder vielmehr germanische Architektur zu sagen,
wäre diesmal wahrhaftig keine chauvinistische
Anmaßung. Romanische Architektur, das ist,
was z. B. bei der Stadt Pisa draußen auf grünem
Wiesenplan weiß dem blauen Himmel und der
goldenen Sonne entgegenblüht. Da steht man
vor etwas wie einer nachgebornen, ich meine
posthumen, etwas verzärtelt ausgefallenen, auch
ein wenig bleichsüchtigen Tochter der alten
Roma. Aber unsere romanische Architektur!
Das ist in Wahrheit ein lombardischer Bastard.
Eine stark archaistisch stilisierte Byzantinerin
drüben in Ravenna war von dem barbarischen
Lombarden vergewaltigt worden. Sie hat ihrem
Kind wenig mitgegeben von ihrer orientalisch-
dekadent-griechischen Grazie, ihrer halb hetären-,

*5
 
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