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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Hoeber, Fritz: Zur Hegemonie der Architektur: historisch-kritische Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0236

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W. Straube. Porträt in der Laube.

ZUR HEGEMONIE DER ARCHI-
TEKTUR.

Historisch-kritische Skizze von Fritz Hoeber-
Straßburg i. E. zur Erhaltungsfrage des Heidel-
berger Schlosses.*

,,Keiner, der nichts von Geometrie versteht,
soll hier hereinkommen! — “

(Sagenhafte Inschrift Platos über
dem Eingänge seiner Akademie.)

Wenn wir das Kunstwerk als Organismus
auffassen — und welche Auffassung wäre etwa
natürlicher als diese, welche Auffassung zu-
gleich gegenstandsgemäßer? — so ist wohl
das Kunstwerk das vorzüglichste, das in bezug
sowohl auf seinen einen Zweck: die Wirkung,
als auf seinen andern: die Dauer der letzteren —
die größtmögliche, die stabilste Organisation
aufweist. Organisation aber heißt: das richtige
d. i. wirkungsvolle Verhältnis aller nebengeord-
neten Teile untereinander, und dann wiederum

* Vgl. hierzu Nr. 327 (1. Morgenblatt) der „Frkft. Ztg.“
vom 25. November 1905: „Die Architektur und die anderen
Künste“, woselbst Prof. Dr. A. Haupt - Hannover in mehr
begeisterter als logischer Weise den früheren Einwurf des
Prof Trübner - Karlsruhe: die Architekten hätten sowohl
prinzipiell niemals, als insbesondere in der Heidelberger
Schlossfrage eine Hegemonie über die andern Künste zu
beanspruchen, zurückzuweisen sucht! — Vgl. ferner dazu am
selben Orte die gleich darauf folgende, wieder ganz ein-
seitig vom Standpunkt des Malers abgefasste Entgegnung
Professor Trübners!

aller Teile zum übergeordneten Ganzen. Ein
solches kompliziertes Verhältnis nennt man
daher in der Sprache der Kunstwissenschaft:
die glückliche Proportion. Es ist ersichtlich,
daß diese den einzigen — nämlich künst-
lerischen — Wert eines Kunstwerkes jeder be-
liebigen Kategorie immer ausmachen muß!
Ebenso ersichtlich ist es aber auch, daß die
Proportion am augenscheinlichsten, am hand-
greiflichsten in der darum hehrsten Kunst: in
der Architektur zu finden ist. In der Malerei
und Plastik, ohne von der Dichtung oder gar
der Musik reden zu wollen, erscheint das
Meiste schlechterdings irrational, rein gefühls-
mäßig.* Dagegen könnte man, um einmal
einseitig zu reden, die Baukunst aus ewigen
und unveränderlichen geometrischen Figuren
gleichsam a priori ableiten, könnte man unver-
brüchliche große Gesetze regelmäßigster Schön-
heit aus derart entstandenen architektonischen
Kunstwerken rein vernünftig folgern! Gewiß,
die Architektur ist die, die einheitlichen Normen
gebende Philosophie unter den Künsten !** Ele-
mente, wie Säule mit daraufliegendem Gebälk,
haben die innere Notwendigkeit philosophischer
Syllogismen!

Ähnliches meinen auch die ästhetischen Be-
trachtungen Platos, der ja sonst recht gering
von der Kunst im allgemeinen denkt. Er, ob-
wohl selbst der eminente Künstler, ist der
Ansicht, daß die Kunst, da nur die Abbilder
der allein tatsächlichen Ideen nochmals nach-
ahmend, in doppelter Weise Scheinbilder vor-
täuscht und also nur eine kindliche Spielerei,
keine ernsthaite Tätigkeit sei. — Die Baukunst
allein wird von diesem Verdammungsurteil
ausgenommen: sucht sie doch mit Hilfe vieler
untrüglicher Zahlen in dem immanenten Reiche
der Ideen Fuß zu fassen; sie allein besitzt die
wahre und zeitlose Schönheit der Ordnung,
des mittleren Maßes, der Symmetrie, der Be-
grenzung!

Plato, der größte und normalste Hellene,
spricht bekanntlich immer das durch seine In-
dividualität aus, was sein Gesamtvolk als sol-
ches intuitiv fühlte, solange es eben hellenisch,
nicht hellenistisch fühlte. Dem klassischen
Athener galt gewiß, wie das U. von Wilamo-
witz-Moellendorff so prägnant ausdrückt, die

* Freilich lässt sich in weiterem Sinne auch von einer
Proportion in der Malerei reden: der Proportion der farbigen
(also nicht linearen) Werte. („Valeurs“.) — Zur Möglich-
keit einer Verhältnisschönheit in der Plastik vgl. Ad. Hilde-
brand, das Problem der Form. Kap. V.: Die Reliefauffassung.

** Man denke ja nicht an technische — also unkünst-
lerische — Normen, die die Architektur den übrigen die-
nenden bildenden Künsten aufzwingen kann. Die Hellenen,
die ja auch, wie sofort gezeigt werden wird, der Baukunst
unbestritten die erste Stelle einräumten, haben sehr fein
darin unterschieden, wenn sie das Handwerklich-Gemeine mit
,,Tkyyrj“, das Künstlerisch-Überirdische aber mit ,,7IOtTJOtj“
bezeichneten!

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