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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Schäfer, Wilhelm: Deutsche Jahrhundert-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0126

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Deutsche Jahrhundert-

AUSSTELLUNG.

Selten ist eine Veranstaltung heftiger kriti-
siert worden, als diese, selten war die Kritik
begreiflicher und selten mußte man den Männern
dankbarer sein, die sich ihr aussetzten. Als
ich vor einigen Wochen aus unserm lebendigen
Rheinland durch das rauchende und bäuerlich
reiche Westfalen und danach durch jenes Stück
von Deutschland fuhr, wo der Schnellzug drei
Stunden lang vergeblich einen Punkt sucht, an
dem zu halten lohnte: war mir manches bitter-
böse Wort zugekommen, weniger geschrieben
als gesprochen von Leuten, die zum Teil selber
ihre Kenntnis und ihre Sammlungen dieser
Jahrhundertschau zur Verfügung gestellt hatten.
Seit Monaten selber auf der Suche nach Bildern
auch aus dem 19. Jahrhundert hatte ich Grund,
die glaubwürdigsten Berichte zu bezweifeln: mir
war so manches sonst unbekannte Werk be-
gegnet, das unterdessen nach Berlin gewandert
war; und daß sich selbst in Solothurn Professor
Lichtwark nach dem Frank Buchser umgesehen
hatte, war nur ein Beispiel, wie sorgsam diese
Suche nach unbekanntem Gut betrieben worden
war.

Nach unbekanntem Gut? Nichts anderes
konnte wohl die Absicht einer solchen Suche
und Sammlung sein: nicht nur die dauerhaft
Berühmten in unbekannten Werken, sondern
vielleicht auch einige andere zu zeigen, die
sich gleichsam neben der Kunstgeschichte ganz
sacht zur Ewigkeit vorgemerkt hatten. Nach-
dem schon die Landschafter-Ausstellung den
Thüringer Buchholz entdeckte, nachdem Licht-
wark in einem Jahrzehnt energischer Suche die
Namen Runge, Oldach, Gensler, Ruths, Christian
Morgenstern geltend gemacht hatte, nachdem
die Gestalt des David Kaspar Friedrich fast
geheimnisvoll aus dem Anfang des Jahrhunderts
aufgetaucht war und auch die fast vergessenen
Frankfurter V. Müller, Burnitz, Scholderer, Eysen
in die Nationalgalerie eingezogen waren: hatte
das deutsche Volk ein kleines Recht zu einer
Generalrevision. Freilich mit dem Fall „Böcklin“
und seinem Urheber durfte sie nicht so viel zu
tun haben, wie etwas stark gemunkelt wurde.
Man wußte freilich, daß der heimgekehrte
Meier-Gräfe der eigentliche Antrieb gewesen
war, den lang erwogenen Plan mutig zu
wagen; aber daß er irgendwo aus einer Ver-
senkung all die Schnüre zu ziehen hätte, nach
denen die deutschen Galeriedirektoren und
Kunstfreunde diesmal tanzen sollten: das war
ihm etwas zu viel zugetraut, selbst noch von
denen, die Herrn von Tschudis Vorliebe
für französische Malerei und Max Lieber-
manns Einfluß in der Nationalgalerie über-
schätzten.

So kaum noch zweifelnd, Gutes erwartend
trotz dem Gemunkel, kam ich in den Neu-
griechentempel, darin sich um die Cornelius-
säle mit höchstem Oberlicht die Säle der
deutschen Nationalgalerie in bescheidener Seiten-
beleuchtung lagern. Und es steht am Anfang
dieser Schrift, die nur den Eindruck wieder-
geben und nicht im Einzelnen berichten will,
daß die guten Erwartungen erfüllt wurden. So
reichlich erfüllt, daß ich mir fast bedauernd
sagte: wie schade, daß dies wirklich nicht als
Revision im Sinne Meier-Gräfes beabsichtigt
war! Der Humor davon wäre allerliebst ge-
wesen: angesichts solcher Kerle wie Ph. O.
Runge und Kaspar David Friedrich gestehen
zu müssen, daß nur unser jämmerliches Miß-
trauen an der eigenen Kraft uns um den Aus-
bau ihres Werkes gebracht hat. Gerade dies
wird einer der deutlichsten Eindrücke dieser
Ausstellung sein: solange und wo die deutsche
Malerei auf sich selber stand, war sie eigen-
mächtig und über den Zeitgeschmack dauernd.
Die Verwirrung begann jedesmal (bei denen
um Cornelius wie bei allen späteren), wo die
eigene Art zugunsten einer andern verlassen
wurde.

Freilich, wenn man zwischen den Böcklin-
bildern stand (bei den Toten sollte doch die
Grenze von 1875 nicht gelten, sie sollten viel-
mehr in ihrem ganzen Lebenswerk zur Wirkung
kommen, wie es bei Leibi geschah), dann kitzelte
einem die Frage immer wieder um die Mund-
winkel : Sollte hier der Meier-Gräfe doch aus der
Versenkung aufgetaucht sein? Aber dann hat
ihm sicher eine andere Hand die beiden
mächtigen Böcklinbilder in der Vorhalle (die
Kreuzabnahme und das Meeresidyll) so auf
den Kopf geschlagen, daß er seinen Fall Böcklin
etwas nachträglich zu den Jugenddummheiten
legte, davon er neulich offenherzig zu plaudern
wußte. Der Humor davon wäre allerdings
kein allerliebstes Gekicher, sondern ein breites
Gelächter gewesen, wie es die Böcklinschen
Elementarkerle brüllen können: Es war nämlich
doch eine Revision; denn ein bißchen von
übler Nachrede war uns allen im Ohr ge-
blieben und nun sahen wir — und dies dürfte
das größte Ergebnis dieser Ausstellung sein:
dieser Böcklin, über den Meier-Gräfe mit seinen
Einheiten anscheinend nur fiel, weil er statt
der Originale seit Jahren nur jene schlimmen
Farbendrucke davon gesehen hatte, war doch
der Größte, war die Vollendung von dem, was
seit einem Jahrhundert in der deutschen Kunst
nach eigenem Ausdruck gerungen hatte. In
der Kreuzabnahme ist jene monumentale Größe,
die Cornelius nicht einmal in seinen Kartons
erreichte, die wir an den besten Werken Feuer-
bachs bewundern; nur nicht wie dort noch
einmal aus der Antike geboren, sondern aus
unserm eigenen Boden gewachsen und zugleich

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