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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0155

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

Von BENNO RÜTTENAUER.
III.

Cotes d’or. Goldene Hügel. Schon in der
Ebene beginnt der Weinbau; aber das gibt ge-
meines Getränk. Erst die steilen weißen Kalk-
hügel hinauf liegen die Clos, die steinummauerten
Weingärten mit ihren weltberühmten Namen.
Denn die großen Weine sind benannt nach
diesen Clos: Clos Vougeot, Clos St. Georges,
Clos Premeau, Clos du Tart, Clos ä la Roche,
Clos St. Jean.

Über die Clos hinaus, auf den Gipfeln der
Hügelkette, ist der steinige Boden wüst und leer.
Von hier genießt man eine herrliche Aussicht
über Burgund und Savoyen hinweg bis zum
Montblanc. Es ist schön da oben. Seltene
Blumen wachsen zwischen dem wilden Gestein,
die Otter sonnt ihre schillernde Haut, und
stacheliges Dorngebüsch mit feuerfarbigen Beeren
verstellt einem den Weg. In der Tiefe dampft
die Ebene,

Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
neurauschend in die Luft,
zieht hinten Städte, eitle Pracht,
blau Berge durch die Luft,

„die Ströme ziehen im tiefen Grund“, und weit
in der Ferne, gegen Morgen und Mittag, starren
in den bläulichen Himmel, wie ein Feld ewiger
Lilien, die weißen Gipfel der Alpen.

Wir hatten einen Frühmorgen da droben
zugebracht in verlorenem Umherschweifen in
der sonnigen Wildnis und stiegen nun, hungrig
nnd durstig, zwischen den Weinbergmauern
hinunter. An einer der Mauern stand eine
Türe halb offen, und drinnen, unter dem vor-
springenden Dach seines Hauses, an einem
runden Steintisch, saß ein Greis in weißen
Locken, die ihm nach der Haartracht um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts fast bis zur
Schulter gingen. Er rauchte eine kurze Holz-
pfeife und sah zufrieden und vergnügt ins
Land hinaus, hinüber nach dem rauchenden
Dijon. Am Boden spielte ein erwachsener
Knabe mit einem kleinen Kinde.

Ich näherte mich mit Entschuldigungen:
wir hätten Hunger und Durst, ob er uns nicht
einige Trauben verkaufen wolle. Er sah mich
fast verständnislos an. Dann machte er eine
Gebärde, die ausdrückte, daß ich etwas Un-
geheuerliches verlange.

„Trauben aus meinem Weingarten, mein
Herr? Aber niemals. Niemals verkaufe ich
auch nur eine Beere. Wissen Sie, was mein
Wein galt im letzten Jahr ? 170 Frank. Niemals
auch nur eine Beere. Der Clos ist einer der
renommiertesten des Landes, müssen Sie wissen.

Ich würde mir eher einen Finger abbeißen, als
eine Traube zu essen.“

Ich dachte: du bist ein echter Bauer. Und
laut: „Also dann eben eine Flasche Wein, der
seinen Preis hat, und eine Schnitte Brot; Sie
werden als Franzose nicht eine fremde Dame
wollen verschmachten lassen.“

Der Alte brummte so was, er sei kein
Schankwirt, er verkauie seinen Wein im großen.
Und er sah gar nicht entgegenkommend aus.
Er überlegte sich den Handel sechsmal in Ge-
danken.

„Sei’s,“ sagte er endlich; „wollen die Herr-
schaften Platz nehmen?“

Dann stand die Flasche auf dem Tisch und
ein mächtiger Laib weißen Brotes und ein
fast ebenso mächtiger Laib Käse daneben. Er
hatte aber nur zwei Gläser gebracht, er ver-
schmähte, uns Bescheid zu tun. Aber er nahm
gern eine deutsche Zigarre von mir an, und der
halbwüchsige Junge schaute verlangend nach
meinen Zigarillos; ich gab ihm eine Handvoll
davon und er machte einen Sprung so hoch
wie der Tisch.

Man kam ins Gespräch. Der Alte fragte
nach unserm Herkommen. Ich nannte Breisach.
Bei dem Namen hellte sich sein breites glatt-
rasiertes Gesicht, das bis jetzt kaum eine Be-
wegung verraten hatte, plötzlich auf. Er kannte
ja Breisach. O, wie seine Hosentasche. Er
hatte als Soldat vier Jahre in Neubreisach in
Garnison gestanden und jeden Sonntag in Alt-
breisach, in der Bergerschen Brauerei, mit seinen
Kameraden Bier getrunken. Er fragte nach dem
alten Berger. Er fragte nach einigen Hand-
werkern, mit denen er Brüderschaft gemacht.

Nun holte er noch eine Flasche und noch
ein Glas. Und wir stießen an. Ich rief: Der
Kaiser Napoleon soll leben. Er sagte trocken:
Der hat ausgelebt. Und der Alte taute immer
mehr auf. Er sprach von seinen Verhältnissen.
Die dort — der Junge blies gerade aus der
Zigarillo der Kleinen den Rauch ins Gesicht —
waren die Kinder seiner Tochter. Sechs Kinder
hatte der Schwiegersohn, der Esel. Sein Sohn
wäre nicht so dumm gewesen. Den hatten
ihm die Preußen im Krieg weggeschossen.
Da hatte er denn die Tochter aufs Haus ver-
heiratet. Aber er hatte ihr nichts gegeben.
Er hielt die Hand noch über allem. Und dabei
fühlte er nach dem großen Kellerschlüssel in
seiner Brusttasche. Den ließ er nicht von der
Hand. Nachts legte er ihn unters Kopfkissen.
Den Jungen ist nicht zu trauen. Aber er war
keiner, der sich eine Nase drehen ließ.

Er kam darauf zurück, wie ich nur den
Einfall haben konnte, er werde von seinen
kostbaren Trauben etwas abgeben. Aber nie-
mals verkaufe er eine Traube. „Haben Sie
schon von Clos Morjat gehört? Nun, Sie be-
finden sich eben darin. 170 Frank hat mein

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