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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0156

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

Wein im letzten Herbst gegolten. Verstehen Sie,
170 Frank, von der Rufe weg mitsamt den
Trebern. Trauben, ich laß mir keine anrühren.
Pas un grain, jamais.“

Ein langer hagerer Bauer, etwa ein Jahr-
zehnt jünger, kam schlurchenden Ganges, ohne
Kopfbedeckung, von der Gartentür her auf uns
zu. Er grüßte mit einiger Verlegenheit und
blieb vor uns stehen. Unser „Breisacher“ hatte
knapp gedankt. Er bot keinen Sitz an. Der
andere hatte etwas auf dem Herzen, das sah
man. Er rückte endlich zögernd heraus. Seine
Tochter machte nächsten Dienstag Hochzeit. Er
lud den Alten dazu ein. Vous nous ferez
l’honneur, n’est-ce pas? Aber der Alte machte
ein mürrisches und fast strenges Gesicht. On
verra. Der andere wiederholte seine Einladung
noch einigemal. Und dann beim zögernden
Weggehen noch einmal: Eh bien, c’est dit,
vous viendrez un brin?

Bien, bien, on verra. Ein anderes Wort
war nicht aus ihm herauszubringen. Aber als
der Nachbar weg war: Mög ihn der Teufel
holen, ich wollt, ich hätt mein Geld, das er
mir schuldig ist.

Ich fragte nach meiner Schuldigkeit. Er
sagte sie ohne Umstände. Doch war seine
Forderung außerordentlich mäßig. Wir verab-
schiedeten uns nicht ohne Herzlichkeit. Als
wir ungefähr einen halben Kilometer der Mauer
entlang zurückgelegt hatten, hörten wir plötzlich
ein „pst! pst!“ Das war der Enkel. Er hatte
einen ganzen Arm voll Trauben, die noch an
den Ranken hingen. Es war ein schöner An-
blick. Er gab uns zu verstehen, daß er die
Trauben für die Dame gestibitzt hatte. Ich
wollte Einwendung erheben; aber, Gott, zurück-
bringen konnte der Junge die Trauben ja doch
nicht. Der Alte hätte ihn erdrosselt. Ach ja,
er war keiner von denen, die sich eine Nase
drehen ließen . . .

Es war gegen drei Uhr, als wir in Dijon
ankamen.

* *

*

Man merkt heute der Stadt wenig mehr an
von dem Glanz, den die burgundischen Herzoge
vom letzten Drittel des XIV. bis zum letzten
Drittel des XV. Jahrhunderts mit königlichem
Reichtum und in verschwenderischem Prunk
aller Künste hier verbreitet haben. Die Kunst-
liebe und Kunstliberalität dieser Herzoge war
ein einziges Phänomen nördlich der Alpen.
Der französische Hof stand beträchtlich dahinter
zurück, und in Deutschland gab es nicht, auch
nur annähernd, etwas Ähnliches. Wenn man
in den Rechnungsbüchern blättert, die der
Graf Delaborde aus dem Staub der Archive
hervorgezogen hat, kommt man aus dem
Staunen nicht heraus; ein ganzes großes Volk
von Künstlern und Kunsthandwerkern wimmelt

da vor einem, die alle Brot und Ehre gefunden
haben am Hofe zu Dijon.

Und die überwiegend größere Zahl davon
haben deutsche Namen.

Zwar ist die leidige Sitte aufgekommen, die
niederländischen Deutschen als Fremde aufzu-
fassen und ihre Kunst von der deutschen ge-
trennt zu behandeln. Das ist aber doch, wie
wenn man Rosegger aus der deutschen Literatur-
geschichte verwiese; er würde sich höchlichst
bedanken. Und Gottfried Keller soll etwa kein
deutscher Dichter sein? Im XIV. und XV. Jahr-
hundert gab es noch gar keinen Gegensatz
zwischen den deutschen Niederlanden und dem
deutschen Reich. Die Sprachverschiedenheit,
eine rein dialektische, war zwischen anderen Pro-
vinzen des Reiches mindestens ebenso groß. Und
ebenso war die politische Zusammengehörigkeit
zum Reich — woran übrigens in ethnographisch
kulturellem Betracht gar nichts gelegen ist —
zwar nicht fester, aber auch nicht lockerer als
die der übrigen Reichsgebiete. In einer Bio-
graphie Memlings lese ich: „Mit dem Gelöbnis
— (was weiß der Schreiber von den Gelöbnissen
Memlings?) — mit dem Gelöbnis, alles bisher
Erlernte zaglos opfern zu wollen (?) am Altar
der großen, alleinseligmachenden flandrischen
Kunst, überschritt der Deutsche die Grenze
seines Vaterlandes.“ Seines Vaterlandes. Aber
wenn der Mann ein Mainzer war, hat er, nach
damaligem Begriff, sein Vaterland mit dem
Bistum Mainz bereits verlassen, und in Aachen
oder Köln hat sein Ohr bereits eine ebenso
fremde Sprache vernommen wie in Brüssel oder
Brügge. Wo denkt sich denn der Schreiber
diese Grenze seines Vaterlandes? Er scheint
an die heutigen Reichsgrenzen zu denken. Aber
das ist ja eine Lächerlichkeit gegenüber der
damaligen Zeit.

Diese Ausmerzung urdeutscher Stämme aus
dem Deutschtum ist ein bornierter Winkel-
patriotismus. Ich muß dabei immer an den
berühmten norddeutschen Lyriker denken, der
mir einmal sagte, Tirol gehöre ebensowenig in
seinen Begriff von Deutschland wie China.
Die sogenannten Alldeutschen sind manchmal
lächerlich in ihren patriotischen Prätentionen,
aber im höchsten Grad unwürdig und das
wahre deutsche Nationalgefühl ins Gesicht
schlagend ist das Gebaren dieser Winkel-
deutschen. Bei Delaborde lese ich einmal
folgende Künstler zusammengestellt, die in den
burgundischen Rechnungen figurieren: van der
Donck, Weyts, Nachtegaele, de Baers, van der
Muelene, Broederlein, Malekyn, van den Driesche,
Wilhelm Mathys, Hughezuene, Walins, Glese-
mackere, Ghisbert de Crane, Baerdt, Winscinc,
van Menninghen, van der Nyeuwerborch, Otte-
zuene, Rycks usw. Und bei solchen Namen
zu sagen, daß es sich um andere als deutsche
Künstler handle.

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