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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [3]
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: Eine Fussreise im Herbst, [2]: Schluß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0159

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

nicht zu tanzen vermochte, wenn das Leben
ihm hart „mitspielte“, und ein Schnippchen
zu schlagen wie der pockennarbige, schweins-
köpfige Revolutionsgraf, den andern, der sich
nicht wehren konnte, der sich niedertreten
lassen mußte vom grausamen Leben; ich dachte
an den deutschen Dichter Heinrich von Kleist. . .

Und ich dachte viel an meinen geistigen
Freund, der seinem Helden in Le Rouge et le
Noire diese Gegenden zur Heimat gegeben.
Und in meine Gedanken mischte sich einiger
Grimm. Ich hatte in den Beilagen der alt-
ehrwürdigen Allgemeinen Zeitung einen langen
Aufsatz über Stendhal gelesen, wo meine köst-
liche Zusammenstellung von Aphorismen aus
diesem Autor — zwei Bände — mit keinem
Wort erwähnt waren. So was verstimmt
immer. Das ist oft stärker als der seelische
Einfluß von schönen Kühen, die um einen her
Wiederkäuen.

INE FUSSREISE IM HERBST.

Von HERMANN HESSE.

(Schluß.)

MORGENGANG.

Erst als der Ofen erkaltet war und mir die
Füße starr wurden, wachte ich frierend auf, und
da war es auch schon Morgen und nebenzu in
der Küche hörte ich jemand den Herd an-
heizen. Draußen lag, zum erstenmal in diesem
Herbst, ein dünner Reif auf den Wiesen. Ich
war vom harten Liegen steif und mitgenommen,
aber gut ausgeschlafen. In der Küche, wo die
alte Magd mich begrüßte, wusch ich mich am
Wasserstein und bürstete meine Kleider aus,
die gestern bei dem windigen Wetter sehr
staubig geworden waren.

Kaum saß ich in der Stube beim heißen
Kaffee, da kam der Gast aus der Stadt herein,
grüßte höflich und setzte sich zu mir an den
Tisch, wo schon für ihn gedeckt war. Er tat
aus einer flachen Reiseflasche ein wenig alten
Kirschgeist in seine Tasse und bot auch mir
davon an.

„Danke,“ sagte ich, „ich trinke keinen
Schnaps.“

„Wirklich? Sehen Sie, ich muß es tun, weil
ich die Milch sonst nicht vertragen kann, leider.
Jeder hat ja so seinen Bresten.“

„Na, wenn Ihnen sonst nichts fehlt, dürfen
Sie nicht klagen.“

„Gewiß, ja. Ich klage auch nicht. Es liegt
mir fern — —“ •

Er gehörte zu den Leuten, denen es ein
Bedürfnis ist, sich recht oft ohne Ursache zu
entschuldigen. Zwar weiß ich, daß diese Art
von Narren leicht lästig wird und daß ihre
Bescheidenheit, sobald sie irgendwie zu Courage

Doch hatte ich mich in dem Artikel auch
noch über etwas anderes geärgert, mit einem
Arger von, bilde ich mir ein, etwas moralischerer
Färbung. Der Schreiber des Artikels spricht
sehr eingehend von dem Haß Stendhals gegen
die Jesuiten. Aber von manchem andern sagt
er nichts. Immer wieder mußte ich mich
fragen: Warum notiert der Mann so gewissen-
haft, wie Stendhal über die Jesuiten dachte, und
warum keine einzige Silbe davon, wie der
Mann über den Protestantismus dachte, wofür
er doch viel mehr Dokumente hätte finden
können. Warum?

Ja, warum? Wir haben doch keine Zensur!
Aber wir haben Redakteure und Herausgeber,
und ein Esel, wer etwas anderes schreibt, als
was die gern drucken.

Da sieht man deutlich, daß ich erst zum
Burgunder ging, dem milden, tiefen, stillen,
starken — und nicht schon von ihm kam.

kommen, ins Gegenteil umschlägt, doch sind sie
immerhin amüsant und ich habe sie nicht
ungern. Im übrigen machte er einen anständigen
Eindruck, etwas zu höflich, aber intelligent und
offen. Gekleidet war er kleinstädtisch, sehr solid
und sauber, aber schwerfällig.

Auch er musterte mich, und da er mich in
Kniehosen sah, fragte er, ob ich auf dem
Veloziped gekommen sei.

„Nein, zu Fuß.“

„So so. Eine Fußtour, ich verstehe. Ja,
der Sport ist eine schöne Sache, wenn man
Zeit hat.“

„Sie haben Holz gekauft?“

„O, eine Kleinigkeit, nur für den eigenen
Bedarf.“

„Ich dachte, Sie wären Holzhändler.“

„Nein, doch nicht. Ich habe ein Tuch-
geschäft. Das heißt einen Tuchladen, wissen Sie.“

Wir aßen Butterbrot zum Kaffee, und wäh-
rend er sich Butter nahm, fielen mir seine wohl-
gebildeten langen und schmalen Hände auf.

Den Weg nach Jlgenberg schätzte er auf
sechs Stunden. Er hatte seinen Wagen da und
lud mich freundlich zum Mitfahren ein, doch
nahm ich nicht an. Ich fragte nach Fußwegen
und bekam leidliche Auskunft. Dann rief ich
die Wirtin und zahlte meine kleine Zeche,
steckte Brot in die Tasche, sagte dem Kauf-
mann Adieu und ging die Treppe hinab und
durch die gepflasterte Flur in den kalten Morgen
hinaus.

Vor dem Hause stand des Tuchhändlers
Gefährt, eine leichte zweisitzige Kutsche, und
eben zog ein Knecht den Gaul aus dem Stall,
ein kleines fettes Rößlein, das weiß und rötlich
wie eine Kuh gefleckt war.

Der Weg führte talaufwärts, eine Strecke
den Bach entlang, dann ansteigend gegen die
 
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