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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Voigt-Diederichs, Helene: Bloss ein Mädchen
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Schäfer, Wilhelm: Der bucklige Geiger: eine Rheinsage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0255

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BLOSS EIN MÄDCHEN.

aufwachte, daß die Stube warme rote Gardinen
bekommen hatte — die Gardinen aber, das
war die Sonne, die auf ihre Augen schien.

Suse sprang eilig auf und in ihre Kleider
hinein. Dann holte sie aus ihrer Kommode
das Hufeisen. Tief unten lags, noch versteckter
als das geschriebene Buch mit „Nächtlich am
Busento lispeln“ und „Drei Zigeuner sah ich
einmal“. Sie verbarg es unter ihrer Schürze
und schlich davon, an jeder Tür horchend, be-
vor sie aufmachte.

So erreichte sie den Vorboden, ohne daß
jemand aufmerksam wurde auf ihr scheues
Vorwärtsgehen. Sie hatte Glück: da stand noch
der offene Koffer, Fräulein Bertram kniete da-
vor, tat die letzten in Papier gewickelten Sachen
hinein, wollte zumachen und rief dann plötzlich:

„O natürlich deine Stiefel, ich wußte ja,
daß noch etwas fehlte!“ Sie verschwand noch
einmal im Endzimmer. Suse sprang leise vor,
stopfte das Hufeisen unter Wäsche und Kleider
und rannte dann rot und mit schlechtem Ge-
wissen die Treppe hinab. Sie stolperte über
den Wassereimer, der auf der Hausdiele stand,
wäre fast hingefallen, rettete sich aber durch
einen erschrockenen Satz auf des Hausmädchens
Scheuertuch und kam erst wieder zur Be-
sinnung, als sie im hintersten Winkel des alten
Gartens stand, wo die Akazien dufteten mit
schimmernden Asten, lose, als seien unver-
sehens die kleinen Morgenwolken daran hängen
geblieben.

Das Mäuschen hüpfte wie gestern in Suses
Brust, wurde stiller und fing dann noch einmal
an, als sie die Hunde aufbellen und den Wagen
vors Haus fahren hörte.

Im selben Augenblick trabte etwas den
Gartenweg heran, Suse vernahm einen schnellen
Atem, kroch unter den schotenbehangenen Gold-
regenbusch und sah von dort aus, wie Walter
mit eiligem Umblicken herangelaufen kam.

„Suse, Suse!“ rief er laut. Dann blieb er
stehen, sein Gesicht war ganz blaß. „Suse,

ER BUCKLIGE GEIGER.

Eine Rheinsage von Wilhelm Schäfer.

In Honnef war ein Geiger mit solcher Kunst
begabt, daß wer ihn hörte, niemals zu einer
anderen Musik tanzen mochte, so golden war
sein Ton. Sie riefen ihn weithin zum Spielen,
und wenn es nur ums Geld gewesen wäre, so
hätte er ein schönes Leben haben können. Doch
war er innerlich voll Gram, denn weil ihm selbst
die Tanzlust in den Beinen steckte, geschah es
oftmals, daß er mit der Geige dazwischen sprang
und tanzte; und obwohl die Geige dann wie
eine Amsel zur Freude lockte, erfuhr er stets,

Suse,“ flüsterte er noch einmal leidenschaftlich,
wie zu sich selber, „sie ist nicht da.“ Einen
Augenblick stand er starr. Dann fuhr er mit
der Hand über sein Gesicht, seufzte und ging
langsam zurück, schwer und mit hängenden
Armen.

Gleich darauf rollte der Wagen vom Hof.

Suse atmete auf. Sie kroch unter dem Busch
heraus, schüttelte die trockenen Blütenblätter
vom Kleid und wanderte bedächtig den kiesigen
Weg entlang. Nun fuhren sie endlich. Das
Rollen verklang, noch einmal bellte der Ketten-
hund auf, dann wurde es still.

Und in dieser plötzlichen Stille fiel dem
Kinde das verschenkte Hufeisen ein, das mit
hinausgefahren war, und es hob sich eine Angst:
sie hätte es nicht tun sollen, sie hätte es nicht
tun sollen.

Geschenkt, Gott ja, geschenkt hatte sie schon
oft genug jemand was: Alex Brot und Kastor
Stroh, und Lude Bruhn das kleine bunte Schäfer-
haus, heimlich, weil sies gewiß nicht ver-
schenken durfte.

Das und vieles andere war gut und hatte
sie nie gequält. Aber nun dies: von ganz weit
her rief es zurück — ätsch, du bist doch ein
Mädchen, bloß ein Mädchen — und goß sich
über sie, feuerheiß, und ließ sich nie mehr
abwaschen.

Suse weinte fast und lief verstört wie ein
gefangenes Tier auf dem kurzen Rasen hin und
her, riß zwei Rosen vom Beet, warf sie wieder
fort und flüchtete sich dann zum schlanken
Wacholderbaum, der grünsilbern im halben
Sonnenlicht stand.

Sie umfaßte ihn mit ihren dünnen bloßen
Armen ■— ach hätte sies nur nicht getan mit
dem Hufeisen. Aber sie hatte es getan, hatte
es sogar gern getan ....

Sie drückte ihr kleines Gesicht in die
scharfen Nadeln und murmelte, begierig nach
Trost: „Nein kein Mädchen, kein Mädchen?“

Aber kein Trost kam und keine Antwort.

daß sie ihn einen Buckel schimpften. So kam
es, daß er wochenlang in seiner Kammer saß
und nirgend hin zum Spielen ging, so daß die
Mutter, eine blasse Frau, viel Not mit ihm und
jungen Leuten hatte, die ihn zum Tanz abholen
wollten. Da ging er einmal tief hinein ins Land,
weit über das Gebirge und spielte in dem fremden
Dorf; und als sie alle lustig waren und die Augen
der Mädchen von dem Klange der Geige brannten,
da wagte er es noch einmal und hüpfte mitten
unter sie. Als aber einige aufkreischten und ihm
die Burschen seinen Buckel wie eine Trommel
klopften, da holte er sein Messer vor und schnitt
die Saiten mitten durch mit einem Schnitt und
lief hinaus bis in die sieben Berge und gedachte

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