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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0116

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gASEL.

Bei uns haben in jüngster Zeit vier sehr bemerkens-
werte Kunstausstellungen stattgefunden.

In der ersten trat die „Gesellschaft schweize-
rischer Maler, Bildhauer und Architekten“ erstmals
mit einer eigenen Ausstellung — einer Art friedlichen
Konkurrenzunternehmens zu der bestehenden „National-
Schweizerischen Kunstausstellung“ und dem „Turnus“ des
Schweizerischen Kunstvereins — auf den Plan. Die Ge-
sellschaft ist in Sektionen nach den Kantonen gegliedert,
und auch in Paris und München gibt’s Abteilungen. Von
allen waren beachtenswerte Werke hergesandt worden, und
eine strenge Jury hatte gewaltet. Am charakteristischsten
ragten Werke von Hodler hervor; eines davon, eine strah-
lende Seelandschaft, ist ins Basler Museum gelangt. Natür-
lich war der originelle Künstler stark umstritten, und noch
um den Museumsankauf herum tönte das missgünstige
Gebelfer der Kleinen, Allzukleinen. Noch ein zweites Werk
wurde für die Basler Kunstsammlung erworben: ein lebens-
grosses Pastell „Das Bild im Spiegel“ von der in Paris
arbeitenden, dort wegen ihres feinen Geschmackes und ihres
prächtigen Könnens hochgeschätzten Zürcherin Luise
Katharina Breslau.

Die zweite Veranstaltung war eine sehr geschickt
arrangierte, reichhaltige „Jahrhundert-Ausstellung schweize-
rischer Kunst von 1775—1875“. Sie zeigte die schweize-
rische Kunst von der Rokokozeit durch Klassizismus, Ro-
mantik und Biedermeierei hindurch bis an die Schwelle des
Modernen, d. h. von dem Boucher-Nachahmer J. H. Keller
von Zürich (1692 — 1755) bis zu J. G. Steffan, Arnold
Böcklin, Rud. Koller, Benjamin Vautier, Ernst Stückelberg,
Alb. Anker und Adolf Stäbli. Man konnte also erkennen,
wie die Schweizer Kunst eines Jahrhunderts lange in frem-
den Bahnen — französischen und deutschen — gewandelt
ist, bis dann am Eingang zu unserer Zeit die genannten
„Neueren“ den Weg zu kraftvoller, Böcklin sogar zu genial-
ster, Eigenart gefunden haben. Ein wissenschaftlich wert-
voller Katalog war ausgegeben worden. Etwa 20 der fast
500 ausgestellt gewesenen Bilder werden zur Jahrhundert-
ausstellung nach Berlin gehen.

Die dritte Ausstellung war die, welche die Basler
Künstler zu Weihnachten zu veranstalten pflegen. Sie
war ebenfalls gut und reichhaltig, wies im Landschaftlichen,
neben bewährter Kunst älterer Maler, namentlich interessant
stilisierte Marinen einer jüngeren Gruppe auf, gab im Porträt
einige in Auffassung und Ausführung bedeutende Sachen
und war auch im Genrefache recht interessant bestellt.

In allerjüngster Zeit waren sodann die zwei grossen
Wandbilder zu sehen, welche Paul Robert für das Bundes-
gerichtshaus in Lausanne gemalt hat: „Die Gerechtigkeit,
die den Streit schlichtet“ und „Die Gerechtigkeit, welche
den Frieden auf die Erde führt“. Es sind ebenso gross-
artige wie verständliche Allegorien, in der dekorativen Aus-
führung von einer innern Macht und äusseren Noblesse,
die sie dem Besten in ihrer Art, den Fresken Puvis de
Chavannes in Lyon und ;Arnold Böcklins in Basel, würdig
an die Seite reiht.

Im schweizerischen Kunstleben bedeutet also Basel einen
Faktor, nicht nur weil Böcklin, Stückelberg und Sandreuter
Basler gewesen sind, sondern weil in der Stadt Hans Hol-
beins und Jakob Burckhardts, der „nüchternsten Europas“,
wie sie Muther, dem „verstaubten Neste“, wie sie Ostini
genannt hat, mit Begabung, Fleiss und Geschick künstlerisch
gearbeitet und mit Eifer für künstlerische Erziehung ge-
sorgt wird. —s.

RWACHEN.

Ein schönes Buch hat Emanuel von Bodman ge-
schrieben, eine Novelle „Erwachen“ (Deutsche Verlags-
Anstalt, Stuttgart), die eigentlich der Anfang eines Romans ist
und augenscheinlich zumeist eigene Erlebnisse des Dichters

enthält. Sie erzählt ein Knaben- und Jünglingsleben bis
über den schmerzlichen Abschluss einer ersten Liebe hinaus,
erzählt von Widrigkeiten, zumeist aber von schönen ersten
Lebensgenüssen in einer fast altklugen Weise, die durch
ihren herzlich unbekümmerten Ton rührend ist. Die Be-
gebenheiten zeigen einen heranwachsenden Jüngling in der
schönen Landschaft am Bodensee mit jungen und alten
Bekanntschaften, wie sie das Schul- und Träumerleben mit
sich bringt; und man kann wohl sagen, dass solche Dinge
selten so einfach und mit beharrlicher Liebe geschildert
sind, wie hier, wo einem bald ein Schmetterlingsfang, bald
ein Schul-, bald ein Liebeserlebnis innig vertraut wird, so
dass man frohgemut die vergessenen Knabenwege noch ein-
mal geht.

Das Schönste an dem Buch ist dies, dass seine Kon-
flikte von einer ungewohnten Reinheit sind; das macht, der
Erzähler hat sich die Ehrlichkeit der Knabenart gerettet und
kann so mit unbekümmerten Worten von Dingen sprechen,
die in einem andern Mund leicht diesen hellen Klang ver-
lören, entweder albern oder bedenklich würden. Und wen es
reizte, darüber nachzudenken, warum von einem Grafensohn
statt von einem Bürgerskind erzählt wird, könnte zu nach-
denklichen Betrachtungen kommen: Es hat in letzter Zeit
viele „Erziehungsgeschichten“ gegeben, in den meisten kam
auch ein Vater vor, und wenn es ohne Konflikte mit ihm
nicht abging, ist dies wohl nichts Unnatürliches; aber nicht
schön mochte man eine bitterböse Kritik empfinden, die
zumeist von dem Sohn-Erzähler an dem betroffenen Vater
verübt wurde. In dem Buch des Freiherrn von Bodman
steht die Gestalt des Vaters wie eine klar und ruhig ge-
staltende Hand hinter allen Geschehnissen; und wenn nach
seinem „ersten Trauerspiel“ der Vater die Hand und das
Auge seines Sohnes herzlich sucht und findet: so stehn
diese beiden Menschen in ihrem natürlichen Verhältnis
auf einmal wie Vorbilder da; und die einfache Erzählung
bekommt einen Gehalt, der ebensowohl sittlich wie schön-
heitlich stark gleich einem Wein von alter Edelzucht uns
mundet. S.

NSERE MUSIKBEILAGE.

Der Walzer ist ein Wiener Vorstadtkind. Zuerst
und eigentlich ein recht schlichtes Dingchen, gemässigten
Schrittes, achttaktig, von primitiver Form: der Ländler.
Der hatte es schon Beethoven angetan, bei dem wir ge-
legentlich Sätzen ä la tedesca, d. h. im Ländlertempo be-
gegnen, während vor ihm nur die galanten Tänze, nament-
lich das Menuett, in der höheren Musik beachtet wurden.
Dann kam Franz Schubert und umgoss den Volkstanz mit
einem poetischen Schein, der noch heute in frischem Zauber
glänzt. Seine Deutschen Walzer, Valses sentimentales und
Letzten Walzer, so leicht spielbar, so keusch und zart, so
unverwelklich jung: warum sie nur, und gerade in musi-
kalisch bescheideneren Häusern, so sehr neben den
Impromptus vernachlässigt bleiben ? In anspruchsvolleren
hat man sich an Liszts Paraphrasen (Soirees de Vienne)
gewöhnt; doch will mir scheinen, die prunkende Fassung
nimmt den kleinen Steinen etwas von ihrem Besten: eben
das Unscheinbare, Volkstümliche.

Das erste eigentliche Walzergenie ist Josef Lanner
(1802—1843), der die Ländlerei aufgab und die grössere
Suitenform mit ausgebauter Coda aufbrachte. So zart und
poetisch wie Schubert ist er ja nicht; dafür ist er erotischer,
von jener harmlos philiströsen Erotik der Biedermeierzeit.
Seine glücklichsten Kompositionen, der Pesther Walzer und
Die Schönbrunner, sind noch heut in aller Ohren; unsere
Musikbeilage gibt ein paar Proben aus den weniger be-
kannten Neapolitanern und aus den Abendsternen. Lanner
hatte das Schicksal, schon bei seinen Lebzeiten von dem
zwei Jahre jüngeren Johann Strauss verdunkelt zu werden,
dem ersten Wiener Walzermann von internationalem Ruf,
der ja zusammen mit seinen Söhnen eine Weltherrschaft
begründet und selbst die grössten Komponisten an seinen
Fiedelbogen gebannt hat. G K.

Herausgeber W. Schäfer, Verlag der Rheinlande (v. Fischer & Franke). Druck A. Bagel, Düsseldorf.
 
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