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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [1]
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Kühl, Gustav: Abschied
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0057

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND KUNST.

umspannt. Die Entfernung zwischen Japan und
Europa besteht nicht mehr.

In der theoretischen Betrachtung neigt sich
in dem Streit zwischen mechanisch-atomistischer
und organischer Auffassung des Staates der
Liberalismus der ersteren zu. Aber auch hier
gilt es einzusehen, daß die Entscheidung darüber
gar nicht Sache des Intellekts ist, sondern der
Gesinnung, denn in beiden Fällen handelt es
sich nur um ein Bild, eine Analogie. Daß wir
nur einzelne Menschen als einen Staat bildend
kennen und kein zentrales Bewußtsein wie beim
Organismus auffinden können, braucht nicht zu
verhindern, daß im Bewußtsein jedes Menschen
Motive, Ideen maßgebend werden, die die Ge-
samtheit betreffen, und daß er sich mit allem
eigenen Wohl und Wehe abhängig fühlt oder
abhängig macht von den Zwecken, die in ihrem
Inhalt, wenn auch nicht als physikalische Wirk-
lichkeit, eine Gesamtheit, etwas Umfassendes
betreffen. Durch diese Gesinnung wird der Staat
erst ein Organismus, während er ein Konglomerat
von Atomen, zusammenhanglosen Elementen
bleibt, sobald man sich gegen einen zentralen
Willen in Form einer Regierung, oder gegen jede
Regulierung durch Institutionen sträubt, sobald
man die einzelnen Individuen sich selbst über-
läßt und meint, daß durch die Konkurrenz allein
eine Regulierung, ein Ausgleich der Kräfte her-
beigeführt wird. Wo jeder zunächst für sich
sorgt, und den Gedanken an eine große Einheit
und deren Bestehen mit dem großen Verant-
wortlichkeitsgefühl, dem Wachsen des Willens,
den dies Bewußtsein mit sich bringt, nicht
fassen kann, wird der Staat allerdings etwas
wie ein Durcheinander von Atomen, und gilt
die Formel: Laissez-aller, laissez-faire. Alle
Ideen, die früher einen Klang hatten, wie Nation,
Vaterland, Heimat, Patriotismus, sind fast bis

BSCHIED.

Von GUSTAV KÜHL.

Nun also wird das Nachbargrundstück auch
bebaut, das letzte, das noch frei war in meiner
Vorstadtgegend! Der alte Zaun ist eingerissen,
Maße sind genommen, man buddelt schon die
Kalkgrube aus, und emsig sucht eine Frau die
paar Kartoffeln hervor, die sie hier vor wenigen
Monaten gelegt hat. Von rechts und links
drücken längst senkrechte graue Mauern auf
den Platz, oben in häßlichem Winkel schräg
abgesägt, und verdunkeln die verwahrloste
grüne Fläche, in der hie und da neben dem
Kartoffelviereck der hartgetretene Boden durch-
blickt wie bei abgescheuertem Samt; die
Ecke liegt voll von Schutt und Steinen, von
Dachpappe, Konservenbüchsen und Papier.

auf den Fluch der Lächerlichkeit herabgesunken,
und eine neueste Heimatsbewegung zeigt in
ihrer Reaktion dagegen nur um so stärker, daß
diese Gesinnung die herrschende war oder ist.
Der Zug zum Internationalen beherrscht unser
Denken und Tun, und der moderne Mensch ist
überall zu Hause, wo es gebildete Europäer gibt.
Doch darf man auch hier nicht vergessen, daß
eine Erhebung über die scheinbare Enge solcher
Gesichtspunkte wie Nation nicht ohne weiteres
zu Menschheitsidealen führt, sondern fast immer
ein Drunterwegkriechen zum Individuum hin
darstellt.

Wenn wir jetzt zurückblicken und sehen,
daß wir, vom Kleinsten ausgehend, vom mensch-
lichen Auge, über die ganze Person zum
Größten, zum Staat, gelangten, so fanden wir
überall denselben durchgehenden Zug: die ört-
liche und zeitliche Isolierung, die Hingabe an
das Nächste und den Moment, die Ablehnung
alles dessen, was nur gedächtnismäßig, nur
vorstellungsmäßig mit dem Gegenwärtigen zu-
sammenhängt. So könnte es scheinen, als sei
der Impressionismus nur in Negationen sich
bewegend, als kehrte er zu einer ganz unent-
wickelten Stufe des Sehens, des Lebens und
Zusammenlebens zurück, zum Kinde oder Tiere,
als wäre er ein Anfang, ein Frühling. Und in
der Tat, in solchem Anarchismus kann ein
Anfang stecken. Für den Impressionismus ist
es aber nur die eine Seite, die andere Frage er-
hebt sich, wie macht nun diese Kultur das
Vereinzelte wertvoll, wie steigert und raffiniert
sie es; denn der moderne Impressionismus ent-
hält Elemente einer höchsten Kultur, farbigste
Blüten, wenn auch vielleicht solche, die nahe
vor dem Entblättern sind. Mit unserer Dar-
legung sind wir auf halbem Wege stehen
geblieben, wir müssen einen Schritt weiter tun.

Wären nicht die paar hochreifen Sonnenblumen
mit ihrer frechen Leuchtkraft, einige schon mit
gebeugten Köpfen, bereit im nächsten Augen-
blick den riesigen Samenboden leerzuschütten,
so wärs recht trübe, das stumpfgrüne Bild.

Mein armes Nachbarland! Wie manchmal
hab ich im Vorbeigehen über den kümmer-
lichen Zaun geblickt und mich über das Un-
kraut gefreut, das um den kleinen Acker herum
so wildlustig aufschoß! Selbst als im August
das Kartoffelkraut seinen stickigen Moderhauch
verbreitete, mußte ich den Schritt verlangsamen,
weil ich dich liebgewonnen hatte, du tod-
geweihte Erde! Wenn unsereins stirbt, er-
richtet man ihm einen Grabhügel, damit es so
aussieht, als sei er nicht vergessen. Wer
denkt an dich?

Sind wir Menschen nicht hassenswert!
Die Grausamkeit ginge noch an, mit der dieser

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