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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0056

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND KUNST.

wer bricht mir die Macht eures Löbens und
Tadelns, schreibt ein andermal einen schönen
Aphorismus über die Pflicht des Vergessens!
Der Impressionismus braucht in der Tat eine
Ethik des Vergessens, oder vielmehr, er kann
überhaupt keine Ethik, keine Moral gebrauchen.
Denn wo das fehlt, daß bei jedem Handeln das
Gedächtnis irgend eine Maxime, irgend eine
Rücksicht dem Willen unterlegt, haben wir kein
Recht mehr von einer Moral zu reden, nur noch
von einem Jenseits von Gut und Böse.

Die letzte Konsequenz des impressionistischen
Verhaltens ist denn auch der Ästhetizismus.
(Huysmanns, Wilde), die Wertung aller Menschen
und Dinge nach ästhetischen Gesichtspunkten,
eine Moral — wie alle neuen Gesinnungen führt
sich auch diese heuchelnd ein — der Schönheit.
Bei den konsequentesten Vertretern des Im-
pressionismus finden wir diesen das ganze Leben
erfüllenden Kultus der Schönheit (Peter Alten-
berg, Franck Wedekind, Oskar Wilde). In diesem
Ästhetizismus liegt zweierlei, einmal alle Er-
lebnisse in der Form eines Kunstwerkes zu
haben, d. h. mit einem Anfang und einem Ende,
in sich geschlossen und abgeschlossen. Darin
ist der Impressionismus ganz konsequent. Das
andere ist, überhaupt auf eine willentliche,
handelnde Beziehung zur Welt und zu den
Menschen zu verzichten, denn bei allem Tun
sind wir zu oft nur beim ersten frei, beim
zweiten sind wir Knechte, und dafür außerhalb
der Welt stehend, mit dem bloßen Schauen,
dem bloßen Hören, sei es auch nur im Be-
trachten schöner Edelsteine — seine Tage hin-
zubringen, oder bloß nachfühlend, bloß bildlich
in Dichtung und Phantasie das Leben mitzu-
machen. Wir spielen immer (Schnitzler), und
Spiel ist etwas dem ästhetischen Verhalten,
das nichts ernst nimmt, Verwandtes (Schiller).
Diesem Genießen, das sich nicht tätig mit der
Welt in Beziehung setzen will, ist denn auch
Schein und Sein, Traum und Wachen, Phantasie
und Realität völlig gleich, und das Gefühl,
daß wir in einer Welt der Bilder, der Erschei-
nungen und Schatten, leben, muß sich not-
wendig dazugesellen (Hofmannsthal).

Da aber auch hier mit zunehmendem Im-
pressionismus, d. h. zunehmender Vergessens-
fähigkeit das Gefühl verloren geht, wie es einem
selbst früher, wie es anderen zumute war und
gar nicht immer reale Erlebnisse dem Bilde oder
der Phantasie die Intensität des Gefühls zu
geben vermögen, so vermag der Ästhet im Bild
die stärksten und gräßlichsten Szenen leichter
als ein anderer zu ertragen, ja er bedarf gewisser
starker, greuelvoller Situationen, um überhaupt
erregt, gereizt zu werden. Vorgestellte Zahn-
schmerzen tun nicht weh, sagt Lotze. Der
Ästhetizismus hat fast immer die Grausamkeit
im Gefolge, und Salome mit dem Haupt des
Johannes taucht aus allen Versenkungen empor.

Der Impressionismus dieser letzten, äußersten
Form ist ohne Gemüt, aber nicht notwendig
ohne Gefühl. Aber es sind jene egoistischen
Gefühle, die sonst Launen genannt wurden, aber
heute geeignet sind, einen Menschen interessant
zu machen, grundloses Weh und grundlose
Schmerzen, die man als Stimmungen, Launen
des Individuums heute zu tolerieren und zwar
selbst in der Gesellschaft hinzunehmen geneigt
ist. Eher konnte man eine gereizte Stimmung
gegen das einfache, gesunde Lebensgefühl wahr-
nehmen, so daß Gesundheit fast eine Ungezogen-
heit bedeutete. Anderseits wird die Gesellschaft
mehr als je gemieden, weil man in ihr seinen
Gefühlen nicht freien Lauf lassen kann. Dieser
Egoismus, der sich notwendig mit dem außerhalb
aller Beziehungen stehenden Ästhetizismus ver-
bindet und auch bei Nietzsche daher gewisse
Antriebe erhält, wird als Stärke, als Selbst-
behauptung gewertet, während andere Zeiten
gerade Schlaffheit, Nachgiebigkeit gegen sich
darin erblickten, wie man auch beobachten kann,
daß verzärtelte, schwächliche Personen und
Kranke ihrer Umgebung dadurch am meisten zu
schaffen machen. Ein starkes Bedürfnis nach
Gefühlen, aber nach verschwommenen, rausch-
ähnlichen und beziehungslosen, nach dem
Dionysischen, läßt sich am ehesten feststellen
in der Form, in der das religiöse Bedürfnis des
Impressionismus sich befriedigt, in der Mystik.
Die Hingabe an den Buddhismus, die sich in den
großen Städten (bes. Frankfurt) bemerken läßt,
mag wohl damit Zusammenhängen (Wagner:
versinken, ertrinken, höchste Lust).

Der Impressionismus ist in allen seinen
Tendenzen von einem Verständnis für alles
Gemeinschaftswesen am weitesten entfernt. Seit
Nietzsche wird die Vornehmheit am meisten
in der Distanz gesucht, und nach Ibsen ist der
stärkste Mann der, der allein steht. Ebenso
liegt es in der Konsequenz der Satire des
Simplizissimus, der bereits das Familienleben
aufs Korn nahm, in Serien das studentische
Verbindungsleben und das Militär lächerlich zu
machen. Für Nietzsche ist ferner der Staat nur
ein alles verschlingender Götze, ein Moloch, und
diese Anschauung ist in den modernen Kreisen
durchgedrungen. Auf einer Reizbarkeit gegen
staatliche Bevormundung ertappt sich jeder ein-
mal, wenn ihm in der Eisenbahn, an Flußufern,
verboten wird, sein Leben aufs Spiel zu setzen,
und man empfindet plötzlich Amerika, das Land
der Freiheit und des Liberalismus, als vorbild-
lich. Die Staatsauffassung, von der der Im-
pressionismus, in diesem Falle Anarchismus, aus-
geht, und die heute als die fortgeschrittenste und
moderne gilt, ist der Liberalismus mit seinen
Forderungen der freien Konkurrenz, der Selbst-
hilfe und Selbstregulierung und der Freizügigkeit,
einer Freizügigkeit und Freiheit des Verkehrs,
die jetzt die ganze Erde und alle Kulturgüter

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