Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Lee, Vernon: Sankt Geryon von Köln
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0187

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ANKT GERYON VON KÖLN.

Aus: Vernon Lee, Genius Loci, ins
Deutsche übertragen von Helene Forbes-Mosse.*

Etwas wie aus den alten Potpourris, den
schön gemalten Deckelvasen unserer Groß-
mütter, steigt herauf, wenn man dies Buch
durchliest. Gefangene Geister der Erinnerung
an ferne Orte aus fernen Zeiten. Mittendurch
auch schärfer, wie der leichte Moderduft dieser
mit den Blütenblättern und Würzkräutern der
Feststräuße gefüllten Vasen, erhebt sich ein Ge-
spenst oder eine schon sagenhafte Persönlichkeit.
Die Verfasserin ist englischer Abkunft und
hatte das Glück, daß schon früh die Eindrücke
fremder Landschaften und anderer Nationen
auf sie wirkten. Vielleicht machte sie dies so
geübt, nach Art der Kinder an scheinbar un-
wesentlichen Dingen, einem alten Firmenschild,
einer seltsam gezogenen Hügelkette, dem be-
sonderen Geruch einer Gasse die ganze Eigen-
tümlichkeit eines Ortes, gleichsam den Geist,
der darin sein Wesen treibt, zu erkennen. So
sind diese Reiseerinnerungen wie die auf einer
ganz empfindlichen Platte aufgefangenen Bilder
von ungreifbaren Geistern. Die Übersetzerin
Helene Forbes-Mosse hat behutsam jede feine
Schattierung dieser Aufnahmen in unsere Sprache
übertragen, so daß wir überall noch deutlich
die besondere Art des Schauens und der Aus-
drucksweise der Verfasserin wahrnehmen. Auch
in dem Stück „kölnischen Geistes“ St. Geryon
von Köln ist der Weihrauchduft und der
Kerzenschimmer der hilligen Stadt spürbar. Ob-
wohl sachlich gewiß einiges darin beanstandet
werden könnte, gibt die kleine Arbeit einen
starken Eindruck sehr eigen wieder. Auch hat
es gewiß einen großen Reiz für uns, gerade
einen der vielen Fremden darüber zu hören,
worin die eigentümliche Anziehungskraft der
Stadt gefunden wird. Die Red.

* *

*

Nachdem wir von Kirche zu Kirche gezogen
waren, über jene scharfen Pflastersteine von Köln
(„pavements fanged with murderous stones“
singt der Dichter), unwillkürlich die Gerüche
verzeichnend, wie Coleridge es getan, fühlte
ich mich am Ende des Nachmittags von der
altertümlichen Heiligkeit der Stadt wie be-
nommen. Nicht einmal Ravenna oder Lucca
besitzen eine so große Anzahl Kirchen der-
selben Periode und desselben Musters, die in
der Phantasie und der Erinnerung wie zu einem
einzigen Eindruck verschmelzen. Eine ganze
Stadt, wie mir schien, aus feierlichem byzan-
tinischen Kirchenschiff und massiven Säulen,
aus düstrer, türloser Vorhalle und gewölbter,

* Verlegt bei Eugen Diedericbs, Jena und Leipzig.

goldschimmernder Apsis bestehend — ganz so
wie es Heine nennt: „das große, heilige Köln“.

Diese Kirchen, mit der einzigen Ausnahme
des Doms (der ursprünglich mittelmäßige Gotik
war und, seit seiner Vollendung, schlechte
Gotik geworden ist), diese Kirchen stammen
alle aus jener unbestimmbaren Zeit, der auch
nur einigermaßen feste Daten zu geben oft
schwierig ist; sie erstreckt sich etwa vom
sechsten bis zum zwölften Jahrhundert, und wir
bezeichnen sie, mehr aus eigenem Mangel an
Erleuchtung, als wegen eines auffallenden Bar-
barentums ihrerseits, als „das dunkle Zeitalter“.
Jedenfalls wars ein Zeitalter sehr dunkler Kir-
chen: ununterbrochener Mauern von unglaub-
licher Dicke, niederer, meist flacher Decken;
abgeflachter Bogengänge in Seitenschiff und
Triforium; weniger, kleiner Fenster, unter-
irdischer Krypten und lichtloser Auswüchse an
Kapellen und Eingängen; Kirchen, die das ab-
solute Gegenteil jener eingehegten Marktplätze
sind, welche sich gotische Kathedralen be-
nennen, die mit ihrer Ausdehnung an Grund
und Boden eine ganze Stadtbevölkerung in ihrem
Käfig von Glas und Stein aufnehmen könnten.

Diese hier sind klein und klösterlich, den
Wenigen, Eingeweihten gewidmet, nur ein
kleiner, abgeteilter Vorhof bleibt den Außen-
stehenden geöffnet. Und mehr denn alles an-
dere sind es Kirchen, dazu bestimmt, irgend
eine Reliquie zu verwahren und darüber zu
brüten. Ja, ihre vollendete Form, die sym-
metrische Kreuzung des viereckigen Schiffs mit
der runden Apsis, der geraden Linie der grie-
chischen Säule mit der römischen Wölbung
und Kuppel, ist so besonders für diesen Zweck
geeignet, daß die entzückendsten aller Reliquien-
schreine (wie z. B. der gewölbte in South
Kensington), ganz einfach Wiederholungen sol-
cher rheinischen Basiliken sind, die auf das
Maß einer Truhe zusammengeschrumpft, mit
Säulchen und Ziegelsteinen aus Gold, und Wän-
den in grüner und blauer Emaille ausgeführt
sind. Reliquienschreine ohne Zweifel; Dinge,
die nicht für lebende Wesen, sondern für tote
Heilige oder kleine Überbleibsel derselben be-
stimmt waren; das fühlt man immer durch;
und dann kommt auch das plötzliche Erkennen
dessen, was in jener Zeit des Glaubens eine
Reliquie eigentlich bedeutete.

Man versteht es um so mehr, als Köln, dank
der großen Anzahl von Ehrenjungfrauen der
heiligen Ursula, im glücklichen Besitz so vieler
echter, gleichalteriger Reliquien ist; und be-
sonders deutlich fühlt mans, nachdem man
der Schatzkammer der Ursulakirche einen Be-
such abgestattet hat. Eine gewölbte Kapelle,
deren oberer Teil buchstäblich mit heilig-
gesprochenen Knochen, senkrecht und wage-
recht, in künstlichen Figuren, vergittert ist; und
auf den Simsen rundherum eine Menge Büsten

135
 
Annotationen