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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 4
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Schäfer, Wilhelm: Die Pferde auf der Bodenkammer: eine Rheinsage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0197

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DIE PFERDE AUF DER BODEN-
KAMMER.

EINE RHEINSAGE von W. SCHÄFER.

In der Richmondisstraße zu Köln sieht man
an einem Bodenfenster zwei Pferdeköpfe aus
Holz geschnitzt, nicht anders als blickten sie
hinunter auf die Straße. Da wohnte vormals
Herr von Andocht mit seiner Frau Richmondis.
Die war nicht nur ein Engel für die Armen,
sondern auch von solcher Schönheit und Seelen-
güte, daß ihr Mann sie über alles liebte. Da
aber kam der schwarze Tod nach Köln, und von
den Armen, die sie unerschrocken pflegte, brachte
Richmondis die Krankheit in ihr reiches Haus
und lag am dritten Tage schon im Sarg; jedoch
in einer solchen unversehrten Schönheit, daß
ihr Mann sich lange nicht von ihr zu trennen
vermochte und ihr schließlich zu ihrem Ehering
einen wundervollen Goldreif an den Finger
steckte, desgleichen er auch für sich selber
hatte machen lassen: wie wenn er ihr nun
auch die Treue für den Tod geloben wollte.

Weil aber der Sarg nicht in den Boden kam,
sondern unter der Apostelkirche in einer Gruft
bestattet wurde, stiegen noch zur selben Nacht
die Totengräber ins Gewölbe und gedachten ihr
die Ringe von der Hand zu ziehen. Kaum aber
hatten sie die Schrauben losgemacht und den
Deckel von dem Sarg gehoben, da hörten sie
ein tiefes Seufzen und sahen eine weiße schmale
Hand sich auf den Rand des Sarges legen.
Darüber faßte sie ein solcher Schrecken, daß sie
den Deckel auf die Steine fallen ließen und ent-
flohen, während das Gepolter von dem Deckel
noch lange im Gewölbe dröhnte. Darüber
wachte Richmondis völlig auf, und als sie bei
dem Schein der Leuchte, die von den Grab-
schändern stehen gelassen war, erkannte, an
welchem Orte sie sich befand, da wäre sie, die
nur scheintot gewesen war, vor Schrecken bei-
nahe doch gestorben.

Es dauerte lange, bis sie die Leuchte in der
Hand sich aus der Gruft über den Neumarkt
an ihr Haus gefunden hatte. Dort war der
Herr von Adocht in seinem Schmerz noch wach,
und als er in der stillen Nacht den Klopfer an
der Haustür, zwar schwach doch vielmals hörte,
ging er ans Fenster, um nach dem späten Gast
zu sehen. Da sah er in dem Schein der Leuchte
ein Weißes an der Mauer stehen, das ihm rief,
und in der Gestalt und Stimme völlig seinem
Weibe glich. Er dachte, daß ihn ein Gespenst
erschrecken wolle, und konnte doch nicht vom
Fenster fort. Und sah, daß sie nicht abließ zu
klopfen; und während schon im Stall die Pferde
unruhig wurden, kam die alte Magd zu ihm ins
Zimmer; da draußen stände seine Frau Rich-
mondis und wolle in das Haus. Da sagte er
ihr traurig: eher steigen die Pferde unten aus

Häusergruppe Ecke Altermarkt-Lintgasse (Köln).

Treppe im Hause „Zur Glocke“ Am Hof (Köln).

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